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Destruktivität ist eine starke Kraft

Sigmund Freud entwickelte seine Idee des Gewissens in „Das Unbehagen in der Kultur“. Dabei zeigt er, wie sich Destruktivität gegen das eigene Selbst wenden kann. Da man seine eigene Destruktivität nicht vollständig ausschalten kann, entfesselt sie ihre Wirksamkeit als Über-Ich umso stärker. Judith Butler fügt hinzu: „Je nachdrücklicher das Über-Ich dem mörderischen Impuls zu entsagen strebt, desto grausamer wird der psychische Mechanismus.“ In diesem Moment sind Aggression und Gewalt verboten. Aber weder sind sie vernichtet noch ausgeschaltet, da sie weiterhin ein aktives Leben gegen das Ego führen. Sigmund Freud wirft in gewissem Sinn eine ganz ähnliche Frage auf, wie sie auch Judith Butler stellt: „Was bringt uns dazu, das Leben des anderen bewahren zu wollen?“ Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

Man kann sich aktiv um den Schutz anderer Menschen bemühen

Was im psychischen Leben hält Menschen von der Zufügung von Schaden ab, wenn mörderische Wünschen sie im Griff haben. Das psychoanalytische Denken kennt allerdings eine Alternative, welche die Frage positiv zu formulieren erlaubt: Welche Art Motivation wird im psychischen Leben aktiviert, wenn sich ein Mensch aktiv um den Schutz des Lebens eines anderen bemüht? Auf das Problem der Substitution zurückkommend, kann man fragen: Wie können unbewusste Formen der Substitution die „moralischen Gefühle“ beeinflussen und beleben?

Melanie Klein leistet in ihrem Essay „Liebe, Schuldgefühl und Wiedergutmachung“ einen psychoanalytischen Beitrag zur Moralphilosophie. Sie macht eben in der Dynamik von Liebe und Hass den Punkt aus, an dem Individual- und Sozialphilosophie zusammenkommen. Melanie Klein ist der Auffassung, dass der Wunsch, Menschen glücklich zu machen, mit „starken Gefühlen der Verantwortung und Sorge“ einhergeht. Und dass „echte Sympathie zu anderen Menschen“ auch bedeutet, dass man sich selbst „an die Stelle anderer Menschen“ setzt.

Ständig findet eine Interaktion von Liebe und Hass statt

Judith Butler ergänzt: „Identifikation führt uns hier so nahe es geht an die Möglichkeit des Altruismus heran.“ Melanie Klein schreibt: „Wir können nur dann die eigenen Gefühle und Wünsche außer Acht lassen oder bis zu einem gewissen Grade preisgeben, das heißt den Interessen und Emotionen der anderen Person eine Zeit lang die erste Stelle einräumen, wenn wir imstande sind, uns mit der geliebten Person zu identifizieren.“ Dies ist keine vollständige Selbstverneinung, denn indem man das Glück des geliebten Menschen will, teilt man auch seine Zufriedenheit.

Setzt man den anderen an die erste Stelle, gewinnt man auf eine Art wieder, was man auf eine andere geopfert hat. Hier findet sich in Melanie Kleins Text eine Fußnote, die mit der Bemerkung beginnt: „Wie ich anfangs erwähnt habe, findet in uns allen eine ständige Interaktion von Liebe und Hass statt.“ Folglich sollte niemanden überraschen, dass auch äußerst liebensfähige Menschen durchaus jene anderen Gefühle der Aggression und des Hasses zeigen können.“ Quelle: „Die Macht der Gewaltlosigkeit“ von Judith Butler

Von Hans Klumbies

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