Menschen mit Charakter haben Selbstachtung

Menschen führen sehr unterschiedliche Leben. Doch bei der Formung eines guten Charakters gibt es ein gemeinsames, immer wiederkehrendes Muster. Man muss erst eine Niederlage erleiden und in die Täler der Demut hinabsteigen, ehe man emporstreben und die Höhen des Charakters erklimmen kann. David Brooks fügt hinzu: „Der Weg zum Charakter geht oft mit Momente einer moralischen Krise, Auseinandersetzung und Besserung einher.“ Manchen Menschen sind vor einer entscheidenden Bewährungsprobe plötzlich in der Lage, ihre eigene Natur deutlicher zu erkennen. Die alltäglichen Selbsttäuschungen und Illusionen der Selbstbeherrschung sind dann von ihnen zerstört worden. Sie mussten sich in Selbsterkenntnis demütigen, wenn sie die geringste Hoffnung haben wollten, sich verwandelt daraus zu erheben. David Brooks arbeitet als Kommentator und Kolumnist bei der New York Times. Sein Buch „Das soziale Tier“ (2012) wurde ein internationaler Bestseller.

Nur ein verstummtes Selbst ist aufnahmebereit für Wohlwollen und Güte

Nur im Tal der Demut lernen Menschen, das eigene Selbst zu besänftigen. Erst wenn es ihnen gelingt, das Selbst zum Verstummen zu bringen, können sie andere Menschen verstehen und das annehmen, was sie anbieten. Dadurch, dass ihr Selbst verstummt ist, haben sie sich einen Freiraum geschaffen, den Güte und Wohlwollen ausfüllen können. Dabei helfen oft Menschen, von denen man dies nie erwartet hätte. Bald schon fühlen sich Menschen, die in das Tal der Demut hinabgestiegen sind, wieder in das Hochland der Freude und Verbindlichkeit zurückversetzt.

Diese Menschen gehen nicht geheilt aus ihrer Schicksalsprüfung hervor; sie gehen gewandelt daraus hervor. Sie finden eine Berufung oder eine Bestimmung. Sie verpflichten sich zu langem Gehorsam und verschreiben sich einer scheinbar aussichtslosen Sache, die ihrem Leben einen Sinn gibt. David Brooks erläutert: „Jede Phase dieser Erfahrung hat in der Seele eines solche Menschen Spuren hinterlassen. Die Erfahrung hat seinen inneren Wesenskern verwandelt und ihm größere Kohärenz, Beständigkeit und Gewicht verliehen.“

Die Selbstachtung ist die Frucht innerer Siege

Menschen mit Charakter mögen laut oder leise sein, aber sie haben im Allgemeinen immer ein gewisses Maß an Selbstachtung. Selbstachtung ist nicht das Gleiche wie Selbstbewusstsein oder ein hohes Selbstwertgefühl. Selbstachtung basiert nicht auf einem Intelligenz Quotienten oder irgendeiner der besonderen geistigen oder körperlichen Fähigkeiten, die einem helfen, einen Studienplatz an einer renommierten Universität zu ergattern. Selbstachtung basiert nicht auf Vergleichen.

Man erlangt Selbstachtung nicht dadurch, dass man bei irgendetwas besser ist als andere. Man erwirbt sie dadurch, dass man besser ist, als man war, indem man in Zeiten der Bewährung verlässlich und in Zeiten der Versuchung ehrlich ist. Sie entsteht in demjenigen, der moralisch integer ist. Selbstachtung ist die Frucht innerer, nicht äußerer Siege. Nur die Person kann sie erlangen, die einer inneren Versuchung widerstanden, sich mit ihren eigenen Schwächen konfrontiert hat und die weiß: „Selbst wenn es ganz schlimm kommen sollte, kann ich das durchstehen. Ich kann es überwinden.“ Quelle: „Charakter“ von David Brooks

Von Hans Klumbies