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Das Selbstbild kann eine Falle sein

Oftmals verlieben sich Menschen in eine falsche Person. Eigentlich verliebt man sich ja in den richtigen Menschen. Fritz Breithaupt stellt fest: „Aber wenn es nicht weitergeht oder der Geliebte ein Soziopath ist, wird aus dem Richtigen plötzlich der Falsche. Man kann den geliebten Menschen nicht einfach vergessen.“ Immer wieder tauchen blitzartig kleine Sequenzen vor einem auf: wie man zusammen in einer argentinischen Tangobar sitzt, die Hand des anderen fasst oder zusammen einkaufen geht. Es gibt ein weites Spektrum von Verhaltensweisen, in denen ein Selbstbild zur Falle wird. Das Festhalten an einem solchen imaginären Selbstbild ist auf den ersten Blick nicht Sache des narrativen Denkens. Man kann versuchen, Fixationen durch Weltbilder, vergangene Erfahrungen und Prägungen, Schemata, Muster oder Ideale zu erklären. Fritz Breithaupt ist Professor für Kognitionswissenschaften und Germanistik an der Indiana University in Bloomington.

Man kann sich imaginär in Narrationen wiederfinden

Das mag alles stimmen, doch zugleich können Selbstbilder nur bestehen, weil sie als konkrete Minimalnarrationen vor einem Menschen stehen. Man sieht sich beispielsweise als Held, Opfer, Überzeugungstäter, als Übermutter oder als Liebende nur, weil man sich konkret in Handlungsweisen hineinfantasieren kann. Das heißt, dass man sich imaginär in Narrationen wiederfindet. Fritz Breithaupt erklärt: „Narrationen können uns als konkrete Leitpfade vor Augen stehen oder auch als sekundenschnelle Ideen darüber aufblitzen, was passieren könnte.“

Menschen kommen aus bestimmten Narrationen und den auf ihnen aufbauenden Selbstbildern nicht einfach heraus. Narrationen sind die Form, in denen das Gehirn die Handlungen einer Person und die Handlungen anderer simuliert. Fritz Breithaupt erläutert: „Weil wir diese Simulationen für geeignet erachten, unsere Handlungen abzubilden, stehen sie unter starkem Realitätsverdacht. Und wer möchte sich schon von der Realität verabschieden? Aber es gibt auch einen Ausweg.“

Manchmal sind Narrationen bloße Hirngespinste

Das Interessante ist, dass Narrationen einerseits Abbildungen oder Simulationen der sozialen Welt sind und also Situationen, Entscheidungen, Handlungen und Gefühle eines Menschen durchspielen. Andererseits sind sie aber bloß Hirngespinste, die man sich ausdenkt. Narrationen haben Formen. Und Formen haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten, die nicht nur nach der Pfeife der Realität tanzen. Narrationen haben Formen, in die man die beobachteten Handlungen von sich selbst und anderen bringt.

Fritz Breithaupt weiß: „Wenn wir andere beobachten, unterstellen wir ihnen schnell bestimmte Motivationen und Interessen, wir nageln sie auf etwas fest. Wir beobachten Geschehen in kleinen Sequenzen und Episoden, in denen alle je dyadische oder triadische Rollen zueinander einnehmen: Bösewicht, Täter, Held, Rivale, Helfer Lügner, Opfer, Richter, Freund, falscher Freund, Verräter, Soziopath, Zeuge Mentor, Parasit …“ Diese Rollen bestehen nur im eigenen Kopf, denn natürlich haben alle Menschen alle Tendenzen und können sich in jeder Rolle wiederfinden. Quelle: „Das narrative Gehirn“ von Fritz Breithaupt

Von Hans Klumbies

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