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Menschen ziehen Grenzen zwischen Gruppen

Man wäre schlecht beraten, die Identitätssynthese als inkohärent abzutun oder ihre Verfechter gar als unmoralisch zu verunglimpfen. Yascha Mounk erklärt: „Die neue Aufmerksamkeit für Fragen der Identität speist sich aus Wut und Enttäuschung über das Fortbestehen echter Ungerechtigkeiten. Die meisten Anhänger der Identitätssynthese wollen die Welt wirklich verbessern.“ Dennoch ist Yascha Mounk inzwischen überzeugt die sich die Identitätssynthese sich als äußerst kontraproduktiv erweisen wird. Der Grund für ihren Erfolg mag zunächst verständlich, die Beweggründe ihrer Anhänger mögen aufrichtig sein. Aber auch Menschen, die es noch so gut meinen, können unbeabsichtigt echten Schaden anrichten – und der Einfluss dieser neuen Ideologie wird den Weg zu einer besseren Zukunft erschweren. Yascha Mounk ist Politikwissenschaftler und lehrt an der Johns Hopkins Universität in Baltimore.

In der eigenen Gruppe sind Menschen zu erstaunlichen Altruismus fähig

Wie Sozialpsychologen aufgezeigt haben, scheinen Mitglieder unser Spezies einen natürlichen Hang dazu zu haben, zwischen verschiedenen Gruppen Grenzen zu ziehen. Yascha Mounk weiß: „Wenn es um Mitglieder der eigenen Gruppe geht, sind wir zu erstaunlichem Mut und Altruismus fähig. Wenn es dagegen um die Mitglieder einer anderen Gruppe geht, sind wir zu erstreckendem Gleichmut oder gar extremer Gewalt fähig.“ Jede Ideologie, die den Anspruch erhebt, die Welt zu verbessern, muss eine Vorstellung davon haben, wie man die negativen Auswirkungen solcher Konflikte verhindern oder zumindest mildern kann.

Während Menschen immer dazu neigen, zwischen „uns“ und „denen“ zu unterscheiden, hängt das Kriterium, wer zur Ingroup gehört und wie Mitglieder von der Outgroup behandelt werden, maßgeblich vom jeweiligen Kontext ab. Yascha Mounk erläutert: „Treffe ich auf jemanden, der einer anderen ethischen Gruppe angehört, in eine andere religiöse Gemeinschaft hineingeboren wurde und in einem anderen Teil des Landes lebt, könnte ich annehmen, dass wir keine Gemeinsamkeiten haben.“

Rechtsextreme Ideologien sind gefährlich

Yascha Mounk betont: „Aber ich könnte mich auch entsinnen, dass wir Landsleute sind, politische Ideale teilen, und unsere Menschlichkeit gemein haben. Nur wenn die meisten Menschen den letzteren Weg einschlagen, werden diverse Gesellschaften in der Lage sein, genügend Solidarität aufzubringen, um ihre Mitglieder mit Rücksicht und Respekt zu behandeln.“ Rechtsextreme Ideologien sind deswegen so gefährlich, weil sie Menschen davon abbringen, den Zirkel ihrer Sympathie auf diese Weise zu erweitern.

Indem sie bestimmte ethische und kulturelle Identitäten auf einen Sockel heben, ermutigen sie ihre Anhänger, die Rechte ihrer eigenen Gruppe über die von Außenseitern zu stellen. Über die Identitätssynthese ist Yascha Mounk deshalb so besorgt, weil sie es Menschen schwerer macht, Allianzen zu schmieden, die über die eigene Identitätsgruppe hinausgehen – Allianzen, die man braucht, um auf Dauer Stabilität, Solidarität und soziale Gerechtigkeit aufrechtzuhalten. Quelle: „Im Zeitalter der Identität“ von Yascha Mounk

Von Hans Klumbies

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