Bewertung bezeichnet Eva Illouz als „Nichtwahl“
Anerkennung schließt die Fähigkeit ein, eine ganze Person, ihre Ziele und Werte, angemessen zu würdigen und sich in ein Verhältnis der Gegenseitigkeit zu ihr zu versetzen. Eva Illouz ergänzt: „Will man jedoch eine Bewertung vornehmen, dann tritt man einem anderen in der Perspektive gegenüber, seine Wert durch vorab festgelegte Raster zu bestimmen. Bewertung und Anerkennung sind zwei unterschiedliche kognitive Einstellungen.“ Dass Erstere zunehmend die Oberhand über Letztere gewinnt, erklärt die Häufigkeit des soziologischen Vorgangs, den Eva Illouz als „Nichtwahl“ bezeichnet, da eine Bewertung in den meisten Fällen mit einer Zurückweisung verbunden ist. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Außerdem ist sie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.
Der vorgängige Akt der Anerkennung kann aus dem Blick geraten
In seinen Tanner Lectures entfaltet Axel Honneth die Auffassung, dass es sich bei der Verdinglichung um ein komplexes Zusammenspiel von Anerkennung und Erkennen handelt. Eva Illouz erklärt: „Seine aufschlussreiche These lautet, dass Verdinglichung eine Anerkennungsvergessenheit impliziert, und Honneth fragt, wie eine Erkenntnis dazu führen kann, dass eine vorgängige Anerkennung vergessen wird, wie also das, was wir wahrnehmen und wie wir es wahrnehmen, und daran hindert, die Anwesenheit oder Menschlichkeit eines anderen angemessen zu registrieren.“
Sexuelle Märkte bieten ein eindringliches Beispiel für ein solches Vergessen. Axel Honneth führt die Bedeutung der Aufmerksamkeit und insbesondere einer Aufmerksamkeitsminderung an, um zu erklären, wie der vorgängige Akt der Anerkennung aus dem Blick geraten kann. Eva Illouz möchte darüber hinaus behaupten, dass eine visuell gesteuerte Aufmerksamkeit zu verminderter Aufmerksamkeit führt, vor allem wenn die visuellen Objekte Warenform annehmen, also im Überfluss vorhanden sind, miteinander konkurrieren, zur Schau gestellt werden und leicht austauschbar sind.
Geschmäcker gehen in Fleisch und Blut über
Mit Axel Honneth kann man hier von einer perzeptiven Verdinglichung sprechen: „Die soziale Umwelt erscheint, nahezu wie in der Wahrnehmungswelt des Autisten, als eine Totalität bloß beobachtbarer Objekte, denen jedoch psychische Regung oder Empfindung fehlt.“ Die visuelle Bewertung von Körpern als Bilder in einem großen Markt impliziert ihre Abwertung durch mangelnde Aufmerksamkeit.“ Die von Pierre Bourdieu und seinen zahlreichen Nachfolgern inspirierte Soziologie des Geschmacks beruht überwiegend auf der Annahme, dass Geschmäcker nicht nur beständig sind, sondern auch den eigentlichen Kern des Selbst bilden.
Dabei handelt es sich um jene Matrix, welche die Wahlentscheidungen, den sozialen Werdegang und die Identität eines Individuums orchestriert. Eva Illouz fügt hinzu: „Geschmäcker gehen durch die eigene Klassenposition und den systematischen Gebrauch von Dispositionen, die man im Laufe seines Lebens erwirbt – den Habitus –, in Fleisch und Blut über.“ Dadurch ist der Geschmack tief verwurzelt und beständig; er strukturiert die Identität. Quelle: „Warum Liebe endet“ von Eva Illouz
Von Hans Klumbies