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Narzissmus ist oftmals kaum erkennbar

Der Narzissmus zeichnet sich durch eine Zweigesichtigkeit aus: das schöne Bild nach außen und die schleichende toxische Wirkung auf alle, die zu nahe kommen. Turid Müller erklärt: „Diese Eigenschaft führt dazu, dass Narzissmus gerade für Außenstehende kaum erkennbar ist.“ Die nach der tragischen Sagengestalt benannte psychische Erkrankung gehört zu den Persönlichkeitsstörungen. Das ist der Fachbegriff für Charakterstrukturen, die derart unflexibel ausgeprägt sind, dass Leid und Konflikte die Folge sind. Das heißt: Sie betreffen den Kern einer Person und gehen somit deutlich tiefer als etwa die sogenannten neurotischen Störungen – wie zum Beispiel Essstörungen oder Depressionen. Daher sind sie auch schwerer zu heilen. In jüngster Zeit wird in der psychologischen Forschung und Praxis immer deutlicher, das es verschiedene Erscheinungsformen von Narzissmus geben muss. Turid Müller ist Diplom-Psychologin und ausgebildete Schauspielerin.

Es gibt den grandiosen und den vulnerablen Narzissmus

Unterschieden werden dabei der „grandiose Narzissmus“ und der sogenannte „vulnerable Narzissmus“. Während der grandiose Typus eher durch Neid und Aggressionen gekennzeichnet ist, scheint es auch einen „schüchternen“ Narzissmus zu geben: Hier stehen Scham für die eigenen Bedürfnisse und Ambitionen sowie Verletzlichkeit gegenüber Ablehnung oder Kritik im Vordergrund und führen zu sozialem Rückzug. Da die Wirklichkeit aber nicht in Schubladen passt, sind immer Mischformen zwischen der grandiosen und der vulnerablen Symptomatik zu beobachten.

Turid Müller stellt fest: „Inzwischen zeichnet sich sogar die Annahme ab, dass es sich bei Grandiosität und Vulnerabilität wahrscheinlich um zwei Seiten einer Medaille handelt, und dass narzisstische Menschen zwischen vulnerablen und grandiosen Verhaltensweisen hin- und herpendeln.“ Dies kann zum Beispiel damit einhergehen, wie es für sie im Leben läuft: Haben sie Erfolg, gelingt es ihnen, ihre Selbstzweifel vorübergehend durch Großartigkeit zu übertünchen. Müssen sie Misserfolge einstecken, fallen sie in ein Loch und sind eher im verletzlichen Modus.

Die Großartigkeit ist beim vulnerablen Narzissmus gut verborgen

Dabei kann „Erfolg“ etwas wie Macht sein oder auch die Bestätigung, die man dadurch erfährt, jemandem zu helfen. Narzissmus hat also immer beide Aspekte: Grandiosität und Vulnerabilität. Problematisch ist: Vulnerabler Narzissmus ist auf den ersten Blick nicht unbedingt als Narzissmus zu erkennen. Denn Betroffene verhalten sich eben genau nicht so, wie man es von grandiosen narzisstischen Menschen erwarten würde – im Gegenteil. Mit grandiosem und vulnerablem Narzissmus korrelieren folgende Merkmale: Aggression und Depression. Gewalt gegen sich und andere.

Ob Computer-Nerd, melancholische Künstlerpersönlichkeit oder zu rettendes Mäuschen – die Großartigkeit ist beim vulnerablen Narzissmus gut verborgen. Turid Müller weiß: „Was wir sehen, sind Menschen mit Selbstwertproblemen, zurückhaltende, introvertierte, sensible Gemüter. Sie stellen sich zwischenmenschlich eher ungeschickt an, angeln sich Zuwendung über die Mitleidstour.“ Grandioser Narzissmus heißt: außen selbstsicher, innen unsicher. Vulnerabler Narzissmus ist eher umgekehrt: Unsicher wirkende Menschen haben tief drinnen eine grandiose Haltung. Quelle: „Verdeckter Narzissmus“ von Turid Müller

Von Hans Klumbies

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