Der erste Blickkontakt ist entscheidend
Forschungen zeigen, dass Menschen auf der Basis des ersten Blickkontakts innerhalb von wenigen Millisekunden über die Vertrauenswürdigkeit einer Person entscheiden. Martin Hartmann ergänzt: „Wir müssen ein Gesicht nicht einmal bewusst wahrnehmen, so die These. Unser Gehirn entscheidet trotzdem blitzschnell, ob jemand vertrauenswürdig ist oder nicht.“ Man hat sogar versucht, die Eigenschaften des Gesichts – oder gar nur der Augen – zu benennen, die hinter dieser ganz und gar unbewussten Entscheidung liegen. Hängende Mundwinkel etwa erregen kaum den Eindruck der Vertrauenswürdigkeit. Hohe Augenbrauen, ausgeprägte Wangenknochen oder ein rundliches Gesicht dagegen bewirken eher positive Urteile über die Vertrauenswürdigkeit eines Menschen. Man wird also nicht bestreiten können, dass solche äußerlichen Faktoren eine Rolle spielen können für die Frage, wem man schnell vertraut. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.
Automatisches Vertrauen kann großen Schaden anrichten
Deswegen gibt es mittlerweile Neuromarketing. Diese Faktoren können aber natürlich nur dann eine Rolle spielen, wenn man einer Person begegnet oder wenn man zumindest ein Bild von ihr sieht. Matin Hartmann fügt hinzu: „Sie helfen uns nicht, wenn wir eine Person nicht kennen und sehen. Darüber hinaus ist ganz unklar, was Vertrauen hier heißen soll. Ein hirngesteuertes Gesichtsurteil ist keine Evidenz, jedenfalls nicht in dem Sinne, in dem ich den Begriff hier verwenden will.“
Martin Hartmann meint damit eine „gute“ Evidenz, die mehr rechtfertigt als bloß ein automatisches Vertrauen. Blitzvertrauen kann nicht beanspruchen, eine gute Evidenz zu sein. Große Betrüger haben nette Gesichter, Bernie Madoff etwa, der ehemalige Vorsitzende der Technologiebörse NASDAQ, hat Anleger um viele Milliarden Dollar betrogen und sitzt jetzt im Gefängnis – Strafmaß 150 Jahre. Sein Gesicht aber war durchaus vertrauenserweckend, ein über ihn und seine ehemalige Sekretärin gedrehter Dokumentarfilm trägt den Titel „In God We Trust“.
Das Aussehen kann kein Grund für Vertrauen sein
Menschen können sich also maßlos täuschen. Und gerade mit Blick aus sogenannte „white collar crimes“ gilt, dass sie oft dazu neigen, bestimmten Berufsgruppen aufgrund ihres Auftretens und Benehmens zu viel Vertrauen entgegenzubringen. Eine gute Evidenz ist eine, die ein Vertrauen, das auf guten Gründen basiert. Das Aussehen kann in der Regel kein guter Grund für Vertrauen sein, weil sich jedes Merkmal, das als vertrauenserweckend gedeutet wird, von Betrügern imitieren lässt.
Fehlende Evidenz für Misstrauen muss nicht automatisch Vertrauen implizieren. Martin Hartmann erklärt: „Nur weil ich jemanden nicht misstraue, vertraue ich ihm nicht. […] Zum Vertrauen gehören positive Evidenzen oder Signale und nicht nur die Abwesenheit negativer Signale oder Evidenzen.“ Aber, so könnte man einwenden, genau diese Orientierung an positiven Evidenzen scheint viele Menschen ja so oft zu überfordern. Ist jedoch ein Vertrauensklima gegeben, glaubt man viele Dinge, die man einem mitteilt, und zwar so lange, wie man keine gegenteilige Evidenz hat. Quelle: „Vertrauen“ von Martin Hartmann
Von Hans Klumbies