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Das Sexuelle hat subversives Potential

In den Jahren 1950 und 1951 hielt Herbert Marcuse ans der Washington School of Psychiatry eine Reihe von Vorträgen. Damit kehrte er zur Philosophie und zum Schreiben zurück. Vorher hatte er über längere Zeit die amerikanische Regierung in ihrem Kampf gegen den Nationalsozialismus unterstützt. Stuart Jeffries weiß: „Die Vorträge markierten den Moment, da die Kritische Theorie sich aufspaltete. Nämlich in die pessimistische Frankfurter Version von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno auf der einen Seite. Auf der anderen Seite in die hoffnungsfroheren amerikanischen Varianten von Herbert Marcuse und Erich Fromm, die beide auf der anderen Seite des Atlantiks blieben.“ Max Horkheimer und Theodor W. Adorno schätzen die Möglichkeiten düster ein, die Gesellschaft in Deutschland radial zu verändern. Stuart Jeffries arbeitete zwanzig Jahre für den „Guardian“, die „Financial Times“ und „Psychologies“.

Die Arbeitsverhältnisse waren trostlos

Herbert Marcuse hingegen erklärte in seinen Vorträgen, dass eine solche Veränderung möglich sei. Dabei thematisierte er unter anderem einen Komplex, der in Max Horkheimers und Theodor W. Adornos Philosophie nicht vorzukommen schien. Dabei handelte es sich um das subversive Potential sexuellen Begehrens. Die Vorträge bildeten die Grundlage für Herbert Marcuses 1955 erschienenes Buch „Eros and Civilisation: A Philosophical Inquiry into Freud“.

In diesen Jahren unterrichtete Herbert Marcuse Politische Philosophie, zuerst an der Columbia University, später dann in Harvard. Das subversive Potential sexuellen Begehrens war kein neues Thema. Schon 1938 hatte er in seinem Essay „Zur Kritik des Hedonismus“ darüber geschrieben: „Die unverklärte, unrationalisierte Freigabe der sexuellen Beziehungen wäre die stärkste Freigabe des Genusses als solchen und die totale Entwertung der Arbeit um der Arbeit willen.“ Die Trostlosigkeit und Ungerechtigkeit der Arbeitsverhältnisse würden eklatant das Bewusstsein der Individuen durchdringen.

Das Nachkriegsamerika war vom Thema Sex besessen

Dies würde ihre friedliche Einordnung in das gesellschaftliche System der bürgerlichen Welt unmöglich machen. Diese Vorstellungen bedeuteten eine Herausforderung sowohl der freudschen Lehre als auch des klassischen Marxismus. Letzt genannten war die Idee fremd, sexuelle Befreiung könne das Gesellschaftssystem der bürgerlichen Welt erschüttern. In „Eros and Civilisation“ ging Herbert Marcuse allerdings noch einen Schritt weiter. Vor allem setzt er sich mit Sigmund Freuds pessimistischem Buch „Das Unbehagen in der Kultur“ auseinander.

Er nutzt dessen Leitideen für seine befreienden, hoffnungsvollen Schlussfolgerungen. Der Moment, die Möglichkeiten sexueller Befreiung zu thematisieren, war günstig. Das Nachkriegsamerika war vom Thema Sex geradezu besessen. Alfred Kinsey hatte 1947 an der Indiana University das Institute for Sex Research gegründet. Seine beiden Bücher „Sexual Behaviour in the Human Male“ (1948) und „Sexual Behaviour in the Human Female (1953) machten ihn weltberühmt. Quelle: „Grand Hotel Abgrund“ von Stuart Jeffries

Von Hans Klumbies

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