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Scham erfasst stets die ganze Person

Scham wird zur Zurechtweisung und Verhaltenskorrektur eingesetzt, was im Tadel „Schäm dich!“ zum Ausdruck kommt. Reinhard Haller betont: „Der Inhalt des Schämens ist stark vom Zeitgeist und Kultur abhängig.“ Während sich Scham früher besonders auf sexuelle Dinge bezogen hat, stehen heute Aussehen und Leistung, Besitz und Statussymbole im Mittelpunkt. Scham wirkt ernüchternd, anfangs oft schockierend, immer reduzierend und deprimierend. Primär reagiert man auf Scham defensiv und mit Rückzug. Der Beschämte gerät in die Defensive, er entschuldigt sich und betont seine Betroffenheit. Dieses niederdrückende Gefühl kann in extremen Fällen bis zur völligen Unterwerfung und Hilflosigkeit führen, was erklärt, weshalb Opfer von Vergewaltigungen oft keine Anzeige erstatten. Scham erfasst stets die ganze Person. Der Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller arbeitet vornehmlich als Therapeut, Sachverständiger und Vortragender.

Scham bedeutet negativen Stress

Scham spielt sich meist vor anderen ab, manchmal schämt man sich – und dies zeugt von tiefer Betroffenheit – vor sich selbst. Reinhard Haller weiß: „Das kann sich steigern bis zur Selbstablehnung, zum Selbsthass, ja sogar zum Suizid.“ Schamgefühle treten als solche der Angst unmittelbar ein und erfassen sofort den ganzen Menschen. Sie überfluten geradezu das gesamte Ich und breiten sich schneller aus als die meisten anderen Effekte, schneller auch als die übrigen Kränkungsreaktionen.

Scham bedeutet negativen Stress und führt zu einer tiefen Krise. Selbst beim Zuschauer, sofern er nicht voyeuristisch oder sadistisch veranlagt ist, lösen Scham und Beschämung unangenehme Gefühle aus, die man in milderer Form als Peinlichkeit kennt. Dies ist wohl auch auf die Funktion der Spiegelneuronen zurückzuführen, jenen Hirnzellen, die dafür verantwortlich sind, dass „ich fühle, wie du fühlst“. Die öffentliche Beschämung, die in Zeiten des Internetprangers in großem Stil zelebriert wird, galt als Schandstrafe schlechthin.

Es gibt viele „Masken der Scham“

Beschämung wurde und wird als „Erziehungsmethode“ eingesetzt. Beschämende Berichte ergeben sich aus den diversen Protokollen über die Missbrauchshandlungen in verschiedenen staatlichen und kirchlichen Institutionen. Reinhard Haller stellt fest: „Kann das Gefühl der Scham nicht überwunden werden, treten in weiterer Folge chronische Schuldgefühle, vermehrte Selbstbeobachtung, Schüchternheit, Angst und Depressionen auf.“ Dies kann bis zur Aufgabe der eigenen Persönlichkeit und zur Unterordnung der individuellen Rolle unter die tatsächlichen oder vermuteten Vorstellungen der Mitmenschen führen.

Erhöhtes Schamgefühl, auch als Skrupelhaftigkeit bezeichnet, ist Ausdruck von Ängstlichkeit, von geringem Selbstvertrauen, von Versagensbefürchtungen und gesellschaftlichen Adaptionsschwierigkeiten. Oft sind diese neurotischen Schamgefühle hinter Depressionen, süchtigem Verhalten oder verschiedenen Verhaltensstörungen verborgen. Recht treffend werden diese als die „Masken der Scham“ beschreiben. Es entsteht ein „neurotischer Panzer“, durch den sich die anderen zurückgewiesen fühlen, der aber auch die Annahme von Hilfe verhindert. Quelle: „Die Macht der Kränkung“ von Reinhard Haller

Von Hans Klumbies

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