Manchmal töten Kinder ein Elternteil
Reinhard Haller weiß: „Tötungen eines Elternteils durch Kinder haben einen ganz anderen psychologischen Hintergrund als sonstige Fälle von Mord, Totschlag oder Körperverletzungen mit tödlichem Ausgang.“ In allen Fällen weisen die Täter erhebliche psychische Probleme auf, meist liegt zudem eine pathologische Familiensituation vor. Nach internationalen Untersuchungen ist die Hälfte jener Kinder, die ein Elternteil töten, psychisch krank, meist leiden sie an einer Schizophrenie. Beim Großteil der restlichen Fälle liegen jahrelange Konfliktsituationen vor, in welchen sich das erwachsen gewordene Kind sich in einer Art Notwehr oder auch als Rache zu Tötung hinreißen lässt. Gerade bei der Tötung des Vaters durch den Sohn spielen auch tiefenpsychologische Ursachen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Der Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller arbeitet vornehmlich als Therapeut, Sachverständiger und Vortragender.
Die Vatertötung war früher hoch sanktioniert
Der allgemeine Begriff Parrizid bedeutet Tötung eines Elternteils und kann unterteilt werden in Patrizid (Tötung des Vaters) und Matrizid (Tötung der Mutter). Derartige Taten sind relativ selten und umfassen etwa zwei bis drei Prozent aller Tötungsdelikte. Reinhard Haller stellt fest: „Wegen des religiös und kulturell bedingt starken Schutzprivilegs, das Vater und Mutter in unserer Tradition genießen, ist von einer besonders hohen Hemmschwelle für aggressive Handlungen gegen die Eltern auszugehen.“
Umso mehr erschrecken Tötungshandlungen an den eigenen Eltern, weshalb immer intensiv nach psychischen Störungen, durch welche die Hemmschwelle gegen den Angriff auf die Eltern unterminiert wurde, gefahndet wird. Das Strafrecht hat die Vatertötung in früheren Zeiten sehr hoch sanktioniert. Erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die besondere Situation der Täter von den Gerichten entsprechend berücksichtigt und die Prüfung eines entschuldigenden Notstands oder einer psychischen Beeinträchtigung zum Zeitpunkt der Tat angeregt.
Elternmörder sind in der Regel gut gebildet
Obwohl 85 Prozent der Täter, die einen Elternteil töten, männlichen Geschlechts sind, unterscheiden sich diese in vielen Bereichen deutlich von der Großzahl anderer, besonders jugendlicher Gewalttäter. Reinhard Haller erläutert: „Während Letztere oft durch verschiedenartige Formen von Delinquenz, durch Verwahrlosung oder dissoziale Verhaltensweisen auffallen, weisen Elternmörder in ihrer Vorgeschichte keine Vorverurteilungen und kaum asoziale Züge auf.“
Sie stammen meist aus höheren sozialen Schichten als der Großteil delinquenter Jugendlicher und Heranwachsender und sind in der Regel gut gebildet. Beim Patrizid und Matrizid finden sich im Detail unterschiedliche Motive. Meist lässt sich jedoch für beide Formen ein Ursachenbündel aus Angst, Rache und Flucht beziehungsweise Befreiungswünschen feststellen. Selbst bei psychotisch motivierten Parriziden sind diese Zusammenhänge häufig zu erkennen. Bis zu 60 Prozent aller Elterntötungen werden von psychotischen Kindern begangen, umgekehrt betreffen 20 bis 34 Prozent aller Tötungen psychokranker Menschen einen Elternteil. Quelle: „Das Böse“ von Reinhard Haller
Von Hans Klumbies