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Rache soll den Selbstwert wieder herstellen

Reinhard Haller weiß: „Da Lieblosigkeiten, Benachteiligungen oder Entwertungen als Angriff auf den Kern der Persönlichkeit empfunden werden, soll durch Rache der Selbstwert wiederhergestellt und das ramponierte Selbstvertrauen verbessert werden.“ Der spätere Rächer, anfangs Opfer, führt sich durch eine gegen ihn gerichtete Ungerechtigkeit tief verletzt und sieht sich durch das Erleben seiner Erniedrigung, Schwächung und Hilflosigkeit gedemütigt. Wenn er nicht niedergeschlagen – im wahrsten Sinne des Wortes – bleiben will, muss er alles tun, um seine frühere Stärke wieder zu erlangen. Einer der am meisten begangenen Wege dazu ist jener über die Rache, mit der man das Gleichgewicht zum jetzt mächtiger gewordenen Schädiger einpendeln und die eigene Erniedrigung oder Schwächung beheben will. Prof. Dr. med. Reinhard Haller war als Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe über viele Jahre Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Heute führt er eine fachärztliche Praxis in Feldkirch (Österreich).

Angriffe auf das Selbstbild führen zu Rachehandlungen

Kaum etwas fördert das Selbstgefühl mehr als das Auskosten des Triumphes über den zuvor übermächtig wirkenden Feind. Reinhard Haller erklärt: „Erniedrigung des Selbstwerts wird immer als Anschlag auf den innersten Kern der Persönlichkeit verstanden und weckt die menschliche Urangst: Jene vor Liebesmangel und Liebesentzug.“ Den Angriff auf das Kostbarste verzeiht man nicht leicht, es entsteht das Bedürfnis nach Rache. Dem wird alles geopfert: Das unbeschwerte Dasein, die Freiheit, das ganze Leben.

Am besten lässt sich der Zusammenhang zwischen Selbstwert und Rache anhand des Drei-Säulen-Modells des griechisch-deutschen Psychoanalytikers Stavros Mentzos (1930 – 2015) erklären. Reinhard Haller erläutert: „Rachehandlungen sind demnach ein Angriff auf das Selbstbild, die positive Vorstellung von sich selbst, somit auf die wichtigste Säule. Kommt es u einer Attacke wichtiger Bezugspersonen, von deren Spiegelung die Selbstwertregulierung abhängt, wird gleichsam ein Teil des eigenen Ichs betroffen – die zweite Säule.“

Die Rache dient der Wiederherstellung des Selbstwertgefühls

Die dritte Säule des Selbstwerts ist nach Mentzos jene des „reifen Gewissens“, die auch für das Gerechtigkeitsgefühl zuständig ist. Reinhard Haller ergänzt: „Zu Erschütterungen des Selbstwerts kommt es nach diesem Modell immer dann, wenn beim Schädigungsopfer eine Diskrepanz zwischen dem realen und dem idealen Selbstbild, dem wirklichen und vorgestellten Bild wichtiger Bezugspersonen, auch zwischen äußeren Vorkommnissen und inneren Gewissenansprüchen eintritt.“

Zu Diskrepanzen in der ersten Säule können Krankheiten, Arbeitslosigkeit, sozialer Abstieg oder andere Schicksalsschläge führen. Reinhard Haller fügt hinzu: „Wird eine zuvor idealisierte Person als nunmehr kränkend erlebt, kommt es zu Turbulenzen in der zweiten Säule. Die dritte Säule des Selbstwerts ist betroffen, wenn man sich schuldig gemacht hat, etwa durch Rächen.“ Rache ist eine Reaktionsmöglichkeit auf eine subjektive narzisstische Verletzung. Sie dient der Wiederherstellung des Selbstwertgefühls und bedeutet eine Art „magischer Wiedergutmachung“, wie dies Erich Fromm bezeichnet hat. Quelle: „Rache“ von Reinhard Haller

Von Hans Klumbies

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