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Kränkungen können sogar Kriege auslösen

Bei manchen Kriegen bleiben die Ursachen ein Rätsel. Die sonst üblichen Gründe wie Herrschaftsinteressen, Territorialansprüche, ethnisch-kulturelle Heterogenität, soziale Ungerechtigkeiten oder Machtkonkurrenz liefern keine stimmige Erklärung. Reinhard Haller weiß: „in vielen Fällen wird man bei Demütigungen und Kränkungen fündig, die vielleicht nicht das ganze Drama verursacht, aber zumindest ausgelöst und den letzten Ausschlag gegeben haben.“ Das Beispiel schlechthin findet man in der griechischen Mythologie, im Trojanischen Krieg, den Homer in seiner „Illias“ schildert. Dessen mythologische Wurzeln sind Kränkungen und sich nach dem Schneeballprinzip ausbreitende Kränkungsreaktionen. Am Anfang steht die Gekränktheit der Göttin der Zwietracht Eris. Diese war als Einzige von den Olympiern nicht zur Hochzeit des Helden Peleus mit der Göttin Thetis eingeladen worden. Der Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller arbeitet vornehmlich als Therapeut, Sachverständiger und Vortragender.

Paris entscheidet sich für Aphrodite

Darüber tief verletzt, warf Eris einen goldenen Apfel mit der Aufschrift „für die Schönste“ in die Hochzeitsrunde und traf ins Volle. Sie löste einen erbitterten Streit zwischen der Göttermutter Hera, der Weisheitsgöttin Athene und Aphrodite, der Gottheit der Liebe, aus. Jede wollte die Schönste sein und beanspruchte den Apfel für sich. Da sie sich nicht einigen konnten, sollte Paris, der verstoßene Königssohn Trojas, entscheiden. Das berühmte „Urteil des Paris“ fiel zugunsten der Liebesgöttin aus.

Denn Aphrodite hatte ihm Helena, die schönste Frau auf Erden, versprochen. Diese war jedoch mit dem spartanischen König Menelaos verheiratet. Mit ihr flüchtete Paris dann nach Troja. Der gehörte Gatte rief die Eidpflichtigen zu Kampf und Rache auf, und so zog das griechische Heer unter dem Führer Agamemnon zur Freude der gekränkten unterlegenen Göttinnen gegen Troja. Kränkungen ziehen sich durch die ganze „Illias“. Sie geben Anlass für neue Feindschaften, für den Streit der Helden untereinander, für den Untergang der Sieger und Besiegten.

Es gibt eine Demütigungshypothese von Kriegen

Historiker können die Ursachen von Kriegen differenziert beurteilen. Kränkungen, besonders massenpsychologischer Natur, spielen aber innerhalb des komplexen Bedingungsgefüges eine bedeutende Rolle. Reinhard Haller nennt ein Beispiel: „So hat eine Stimmung aus geschichtlich gewachsener Rivalität, Eifersüchtelei, gegenseitigen Demütigungen, unausgesprochenen Drohungen und zum Teil irrealen Befürchtungen wesentlich zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs beigetragen.“

Das allgemein als Auslöser des Krieges geltende Attentat von Sarajevo auf den habsburgischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin durch einen bosnischen Serben war eine schwere Demütigung der K.-u.-k.-Monarchie. Der kränkende Funke, der 17 Millionen Tote zu Folgen haben sollte, war gezündet. Als Paradebeispiel für die Demütigungshypothese von Kriegen wird auch immer wieder die „Schmach“ des Friedens von Versailles und St. Germain für die Verlierer des Ersten Weltkrieges genannt. Quelle: „Die Macht der Kränkung“ von Reinhard Haller

Von Hans Klumbies

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