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Der Purpose ist Opium des Volks

Überall spüren Menschen die negativen Folgen einer allgemeinen Überforderung. Doch anstatt das Problem an der Wurzel zu packen und die Arbeit wieder humaner zu gestalten, klebt man das Purpose-Pflaster darüber und hofft, dass die Wunde sich von selbst schließt. Ingo Hamm weiß: „Das tut sie nicht. Der Purpose beseitigt keine Missstände, er vertuscht sie. Der Purpose ist Opium des Volks und damit in bester Gesellschaft.“ Während der gesamten Kulturgeschichte der Menschheit haben staatliche, gesellschaftliche und religiöse Institutionen sich aufgeschwungen, den Menschen einen Lebenssinn aufzudrängen. Erschöpft sich der Sinn eines Menschenlebens etwa darin, alle vier Jahre eine technische Errungenschaft zu kaufen, welche die Welt retten soll? Das ist doch keine Sinngebung. Dr. Ingo Hamm ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Darmstadt.

Das Individuum gehört ins Zentrum der Sinnsuche

Das ist eher das Gegenteil: die kunstvolle und angestrengte Ablenkung von der Sinnfrage. Bloß nicht über den Sinn des Ganzen nachdenken. Ingo Hamm plädiert daher für eine Renaissance der Sinngebung. Dabei möchte er das Individuum wieder ins Zentrum der Sinnsuche stellen. Ingo Hamm ist für die Befreiung des arbeitenden Menschen von materialistischen Sinn-Suggestionen, einer Freiheit als individueller Selbstverantwortung. Das macht Sinn. Alles andere eher nicht.

Alle Menschen haben einen „Beruf“ in dem Sinne, dass sie einer Tätigkeit nachgehen, die eine zentrale Bedeutung in ihrem Leben einnimmt. Das steht schon mal fest. Weniger steht fest: „Was wollen Sie von ihrem Beruf? Was erwarten Sie vom Job? Was soll er ihnen geben?“ Die repräsentative Studie „Bedeutung der Arbeit“ der Bertelsmann-Stiftung kommt zu folgendem Ergebnis: „Einem Großteil von uns hart arbeitenden Menschen ist Eigenständigkeit und Selbstbestimmung bei der Arbeit sehr wichtig.“

Menschen wollen Eigenständigkeit und Selbstbestimmung

Menschen wollen nicht, dass ihnen ständig jemand über die Schulter schaut und sagt, was sie zu tun haben. Sie wollen Eigenständigkeit und Selbstbestimmung – und eben nicht Purpose oder Sinn. Und jetzt kommts: Menschen suchen also nicht Sinn bei der Arbeit, sondern Selbstverwirklichung. Ebenso verhält es sich mit der Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen. Wenn die Leute keinen Sinn in der Arbeit suchen, dann macht der Sinn bei der Arbeit keinen Sinn.

Ingo Hamm stellt fest: „Das gesellschaftliche Engagement des eigenen Unternehmens, also ein Noble Purpose im engeren Sinne, interessiert nur wenige: 19 Prozent der Frauen und 14 Prozent der Männer.“ Und doch ist der Purpose aktuell in aller Munde. Und dennoch gilt: Der Mensch strebt auch bei der Arbeit nach Selbstverwirklichung, also quasi „selbst nach Verwirklichung seiner Selbst“ – und nicht nach einem von oben vorgesetzten Purpose. Was gibt es Besseres als einen Job, bei dem man sich selbst verwirklichen kann? ? Quelle: „Sinnlos glücklich“ von Ingo Hamms

Von Hans Klumbies

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