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Es gibt keine Ausrottung des Bösen

Sigmund Freud vertritt die These, dass es schlicht nicht stimmt, dass der Mensch eine höhere Stufe der Sittlichkeit erklommen hat. In Wahrheit handelt es sich um eine folgenschwere „Illusion“. Deren Nachwehen mögen auch in der Gegenwart zum Beispiel in der Kritik am sogenannten „Gutmenschen“ noch präsent sein. „In Wirklichkeit“, so Sigmund Freud unmissverständlich, „gibt es keine Ausrottung des Bösen“. Svenja Flaßpöhler ergänzt: „Die psychologische – im strengen Sinne psychoanalytische – Untersuchung zeigt vielmehr, dass das tiefste Wesen des Menschen in Triebregungen besteht.“ Diese sind elementarer Natur und bei allen Menschen gleichartig. Sie zielen auf die Befriedigung gewisser ursprünglicher Bedürfnisse. Diese egoistischen und grausamen Triebregungen sind an sich weder gut noch böse, sondern werden von der Gesellschaft als böse verpönt. Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und Chefredakteurin des „Philosophie Magazins“.

Lieben und Hassen sind im Menschen vereint

Aus diesem Grund zeigen sie sich vornehmlich im Traum, wenn der Mensch seine mühsam erworbene Sittlichkeit wie ein Gewand von sich wirft. Svenja Flaßpöhler erläutert: „Das verheerende Problem liegt nun für Freud nicht in der negativen Bewertung unserer Triebveranlagung als solcher – wie sonst sollte Kultur entstehen? – sondern darin, dass die auch im modernen Menschen noch wohnende Gefühlsambivalenz nicht gesehen und anerkannt wird.“

Starkes Lieben und starkes Hassen, so zeigt sich in seiner Arbeit, sind in der Regel in einem und demselben Menschen vereint. Und alles hängt davon ab, ob und in welcher Weise die verpönte Seite verarbeitet, die Triebveranlagung des Menschen gebunden, übersetzt und aufgefangen wird. Svenja Flaßpöhler erklärt: „Umso fataler ist es aus Freuds Sicht, dass die Kulturgesellschaft die gute Handlung fordert und sich um die Triebbegründung derselben nicht kümmert, sogar bestrebt ist, die sittlichen Anforderungen möglichst hoch zu spannen.“

Das primitive Seelische ist unvergänglich

Auf diese Weise erklären sich nicht nur die zahlreichen neurotischen Pathologien, sondern man erzieht die Menschen zu reinem Kulturgehorsam, der äußerst fragil ist. Svenja Flaßpöhler stellt fest: „Aus Freuds Perspektive stellt der Krieg insofern eine passende Gelegenheit dar, die mit Mühe unterdrückten Triebe zu ihrem Recht kommen zu lassen.“ Wo die Gemeinschaft den Vorwurf aufhebt, hört laut Sigmund Freud auch die Unterdrückung der bösen Gelüste auf.

Und die Menschen begehen Taten von Grausamkeit, Tücke, Verrat und Rohheit, deren Möglichkeit man mit ihrem kulturellen Niveau für unvereinbar gehalten hätte. So weit kann die Rückbildung des kulturellen Niveaus, die Regression gehen, dass es nie wieder voll erreicht wird. Svenja Flaßpöhler fügt hinzu: „Immer wiederhergestellt hingegen können einzig die primitiven Zustände von unvorstellbarer Brutalität werden.“ Das primitive Seelische ist für Sigmund Freud im vollsten Sinne unvergänglich. Quelle: „Sensibel“ von Svenja Flaßpöhler

Von Hans Klumbies

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