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Die Begegnung hat eine verändernde Kraft

Charles Pépin schreibt: „Die Philosophie Hegels hilft uns zu begreifen, warum die Begegnung mit dem Anderen die Kraft hat, uns zu verändern.“ In seiner Dialektik von „Herrschaft und Knechtschaft“ stellt er den Herrn und den Knecht auf eine auf den ersten Blick erstaunlich anmutende Weise einander gegenüber. Auch wenn der Herr befiehlt, so bleibt der doch, dem Verfasser der „Phänomenologie des Geistes“ zufolge, im geschlossenen, narzisstischen Kreis seiner Autorität und Subjektivität gefangen. Da er keinen anderen Herrn, keinem Alter Ego begegnet und nicht arbeitet, kann er auch keine objektive Anerkennung des eigenen Wertes erfahren. Ohne diese Erfahrung des Andersseins kann er aber nicht wissen, wer er ist. Charles Pépin ist Schriftsteller und unterrichtet Philosophie. Seine Bücher wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

Jede These benötigt eine Antithese

Umgekehrt hat der Knecht, selbst wenn er dem Herrn gehorcht, die Gelegenheit, der Natur zu begegnen, mit der er durch seine Arbeit konfrontiert wird. Diese Arbeit erlaubt ihm, Selbstbewusstsein zu erlangen, indem er sich in seinen Werken wiedererkennt. Für Georg Wilhelm Friedrich Hegel kann die Freiheit nur „objektiv“ sein. Objektiv belegt durch Handlungen, die der Zustimmung der anderen unterliegen. Der Knecht ist daher freier als der Herr.

Das ist natürlich eine Parabel. Aber sie erhellt den entscheidenden Stellenwert, den die Begegnung bei den Menschen, diesen seltsamen Tieren, einnimmt. Charles Pépin weiß: „Um uns weiterzuentwickeln, müssen wir anderen begegnen. Nichts anderes bedeutet die hegelsche Dialektik: Um ihre ganze Kraft entfalten zu können, muss eine Idee auf eine andere Idee treffen.“ Eine These allein kann ohne Antithese, ohne Negation, ohne die Konfrontation damit nicht wirklich zum Ausdruck kommen.

Liebe beweist sich in Taten

Das Gleiche gilt für das Individuum. Die Konfrontation mit einem anderen Bewusstsein ist notwendig, um gegen dessen Unterschiedlichkeit zu lernen, sich zu situieren, um den eigenen Wert zu kennen und sich weiterzuentwickeln. Man muss dem Anderen begegnen, um darauf hoffen zu können, dass sich der innigste Wunsch erfüllt: der Wunsch nach Anerkennung. Menschen müssen auf das zugehen, was sie nicht selbst sind. Denn ohne Begegnung mit dem Anderen ist eine Begegnung mit sich selbst unmöglich.

„Es gibt keine Liebe, nur Liebesbeweise“, schreibt Pierre Reverdy mit leisem hegelschem Beiklang. Liebe beweist sich in Taten, so wie eine schöne Begegnung sich an den Veränderungen bemisst, die sie vollbringt. Charles Pépin betont: „Hegel zu folgen, erlaubt uns, wachsam gegen schlechte oder toxische Begegnungen zu bleiben.“ Die guten Begegnungen lassen einen Menschen wachsen, machen einen besseren Menschen aus ihm, öffnen ihn für die Welt. Die schlechten Begegnungen hingegen machen ihn klein, treiben ihn in die Abhängigkeit, kapseln ihn ab. Quelle: „Kleine Philosophie der Begegnung“ von Charles Pépin

Von Hans Klumbies

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