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Die Introspektion hat keine Konkurrenz

Antonio Damasio erklärt in seinem Buch „Wie wir denken, wie wir fühlen“ wie er die Untersuchung mentaler Phänomene angeht: „Die Methode beginnt natürlich bei den mentalen Phänomenen selbst – eine einzelne Person betreibt Introspektion und berichtet über ihre Beobachtungen.“ Die Introspektion hat ihre Grenzen, aber keine Konkurrenz, und erst recht gibt es keinen Ersatz. Sie bildet das einzige direkte Fenster zu den Phänomenen, welche die Psychologie verstehen will. Und sie leistet wissenschaftlichen und künstlerischen Genies wie William James, Sigmund Freud, Marcel Proust und Virginia Woolf denkwürdig gute Dienste. Heute, über ein Jahrhundert später, kann die Wissenschaft auf einige Fortschritte verweisen, aber ihre Errungenschaften bleiben außergewöhnlich. Antonio Damasio ist Dornsife Professor für Neurologie, Psychologie und Philosophie und Direktor des Brain and Creativity Institute an der University of Southern California.

Klagen über die Schwächen der Introspektion sind nicht zielführend

Mittlerweile kann man die Ergebnisse der Introspektion durch Befunde, die mit anderen Methoden gewonnen wurden, verknüpfen und anreichern. Diese Methoden befassen sich ebenfalls mit mentalen Phänomenen, erforschen sie aber indirekt. Sie konzentrieren sich auf ihre Ausdrucksformen im Verhalten und auf ihre biologischen, neurophysiologischen, physikochemischen und gesellschaftlichen Entsprechungen. Mehrere technische Fortschritte bedeuteten für diese Methoden in den letzten Jahrzehnten eine Umwälzung. Und sie haben ihnen dabei eine beträchtliche Leistungsfähigkeit verliehen.

Klagen über die Schwächen der Selbstbeobachtung und ihre offenkundigen Grenzen sind wenig zielführend. Eben so wenig ist es der Verweis auf die Tatsache, dass die wissenschaftliche Erforschung mentaler Phänomene von ihrem Wesen her indirekt ist. Einen anderen Weg, um voranzukommen, gibt es nicht. Und die vielschichtigen Methoden, die heute Stand der Technik sind, tun schon viel dafür, um solche Schwierigkeiten möglichst gering zu halten.

Hypothesen müssen experimentell überprüft werden

Antonio Damasio spricht jedoch ein letztes Wort der Warnung: „Die Tatsachen, die durch einen solchen mehrgleisigen Ansatz ans Licht kommen, bedürfen der Interpretation. Sie legen Ideen und Theorien nahe, mit denen Fakten auf bestmögliche Weise erklärt werden.“ Manche Ideen und Theorien passen gut zu den Tatsachen und sind ziemlich überzeugend, aber man sollte sich dadurch nicht täuschen lassen. Denn sie sind wiederum als Hypothesen zu betrachten, die man einer geeigneten experimentellen Überprüfung unterziehen muss.

Die Hypothesen werden durch die Befunde gestützt oder auch nicht. Man sollte daher eine Theorie, so verführerisch sie auch sein mag, nicht mit überprüften Tatsachen verwechseln. Anderseits muss man sich aber im Zusammenhang mit Phänomenen, die so komplex sind wie die Ereignisse im menschlichen Geist, oftmals mit Plausibilität abfinden, wenn man der Verifikation nicht einmal ansatzweise nahekommt. Nur so viel ist klar: Am Anfang war nicht das Wort. Quelle: „Wie wir denken, wie wir fühlen“ von Antonio Damasio

Von Hans Klumbies

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