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Von Gerechtigkeit gab es lange Zeit keine Spur

Seit Jahrmillionen entwickelt sich das Leben auf der Erde und Helga Kernstock-Redl wagt zu behaupten: „Von Gerechtigkeit oder ihr dienenden Gesetzen gab es in all dieser langen Zeit keine Spur. Nie wurden die Guten belohnt und die Bösen bestraft.“ Strafen gab es nur unter dem Aspekt des Lernens und der unmittelbaren Herstellung von Sicherheit. Wenn ein Lebewesen bedroht wird und es sich stark genug fühlt, verteidigt es sich. Das angreifende Tier erkennt: keine leichte Beute. Vielleicht lernt es aufgrund der strafenden Reaktion sogar, dass hier Gefahr droht und vermeidet einen weiteren Angriff. Die Stärkeren gewinnen, sie verjagend die anderen von der Wasserstelle. Die Schwachen verlieren. Helga Kernstock-Redl ist Psychologin und Psychotherapeutin. Sie beschäftigt sich vor allem mit der Psychologie der Gefühlswelt.

Auch Primaten sind fürsorglich und manchmal sogar altruistisch

„Gleiches Recht für alle“ findet man nirgends, auch keinen Hauch von „Schützt die Schwachen“ oder „Geben und Nehmen in Balance“. Kennt nur die Spezies Mensch Gerechtigkeit? Früher dachte Helga Kernstock-Redl, Tiere zeigen zwar Empathie und Fürsorge, doch keines entscheidet sich aus Gründen der Fairness dafür. Helga Kernstock-Redl stellt fest: „In meiner Überzeugung, dass uns genau dieser Gerechtigkeitssinn, die Schuld- und Opfergefühle uns zutiefst menschlich machen und somit von Tieren unterscheiden, wurde ich in den letzten Jahren eines Besseren belehrt.“

Besonders beeindruckend sind Arbeiten des Verhaltensforschers Frans de Waal, der einen exzellenten Überblick zur Forschungslage bei Primaten bietet. Als Säugetiere kennen sie natürlich Empathie, nicht umsonst wurde das Phänomen der Spiegelneuronen erstmals an ihnen beobachtet. Helga Kernstock-Redl ergänzt: „Sie sind fürsorglich, manchmal sogar altruistisch: Frans de Waal berichtet von Bonobos, die durch die Gruppe ihrer Artgenossen laufen und Geschenke verteilen. Offenbar freuen sie sich mit, wenn andere sich freuen.“

Menschen regeln Gerechtigkeit durch Gesetze

Menschen nutzen heutzutage ihre Freiheit und distanzieren sich von vielen Primaten- und Steinzeit-Bedürfnissen. Doch den Wusch nach Gerechtigkeit haben sie nicht nur behalten, sondern ihr System in den vergangenen Jahrtausenden sogar perfektioniert und in Tausenden Gesetzen verankert. Trotzdem machen sich die meisten Menschen im Alltag erstaunlich wenig Gedanken darüber, worum es dabei eigentlich geht, sobald sie sagen: „Das ist ungerecht.“

Helga Kernstock-Redl weiß: „Gemeinschaften regeln Gerechtigkeit durch möglichst eindeutige und gemeinsam festgelegte Gesetze. Auch hier können hochentwickelte, sozial lebende Tiere mithalten.“ Frans de Waal beschreibt, wie sehr ihn das „Rechtssystem“ dort immer wieder aufs Neue verblüfft. Schimpansen führen offensichtlich innerlich Buch über Wohl- und Missetaten und entwickeln entsprechende Erwartungen. Die dazugehörigen Gesetze sind wie bei Menschen verinnerlicht, deshalb halten sich diese Tiere aus einer Art sozialem Pflicht- oder moralischem Ehrgefühl daran. Quelle: „Schuldgefühle“ von Helga Kernstock-Redl

Von Hans Klumbies

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