Psychologisch ist die Rache sehr weit gefasst
Rache ist viel mehr als das, was in mehr oder weniger wissenschaftlichen Definitionen beschrieben wird. Reinhard Haller erläutert: „Vor allem psychologisch ist der Begriff wesentlich weiter zu fassen, da auch Schadenfreude, Revanche oder das, was wir als „Heimzahlen“ bezeichnen, ähnlich motiviert sind wie die eigentliche Rache.“ Rache gilt als archaische Form des Vergeltens, welche dem modernen Rechtsgedanken nicht mehr entspricht. Sie ist aber in ihren diversen Formen auch heute im menschlichen Leben so allgegenwärtig wie zu allen Zeiten. Gemeinhin wird unter Rache eine von Emotionen geleitete, persönliche Vergeltung für eine als böse empfundene Tat, besonders als persönlich erlittenes Unrecht, als eine Handlung, die den Ausgleich von zuvor angeblich oder tatsächlich erlittenen Ungerechtigkeit bewirken soll, verstanden. Der Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller arbeitet vornehmlich als Therapeut, Sachverständiger und Vortragender.
Rache reagiert auf erlittene Ungerechtigkeit
Nach der Definition eines der bedeutendsten Racheforschers, des den Gedanken der Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellende Psychologen Mario Gollwitzer, ist Rache „eine gezielte Schädigung einer oder mehrerer anderer Personen als Reaktion auf eine zuvor erlittene Ungerechtigkeit“. Eine weitere bekannte Definition der Rache stammt vom norwegisch-amerikanischen Sozialwissenschaftler und Gerechtigkeitsforscher Jon Elster. Dieser sieht in der Rache einen Versuch, „jemand anderen leiden zu lassen, wobei oft große Risiken und Kosten für sich selbst in Kauf genommen werden“.
Reinhard Haller stellt fest: „Als Auslöser der Rache wird also die böse Absicht des Schädigers betrachtet, welche dem Opfer nicht nur positive Zuwendung versagt, sondern rücksichtslos dessen Kränkungsgrenze überschritten hat.“ In der Soziologie wird Rache als Reaktion auf Herabsetzung in der sozialen Wertschätzung definiert. Sie sieht in der Rache ein Gegenstück zur Dankbarkeit, welche zwar ebenso durch eine „gebende Tat“ ausgelöst werde, allerdings in die gegenteilige Richtung gehe.
Es gibt das Phänomen der „verschobener Rache“
Rache sei eine „negative Gabe, mit der auf eine negative Gabe“ geantwortet werde. Im Mittelpunkt der soziologischen Betrachtungsweise steht also der Ausgleich. Anders als mit dem deutschen Wort „Rache“, dem englischen „Revenge“ oder dem italienischen „Vendetta“ wird das Wesen der Rache mit der griechischen Bezeichnung „Ekdikese“ beschrieben. Wörtlich übersetzt heißt dies „außerhalb des Strafprozesses“. Durch Rache wird also versucht, so sagt der griechische Begriff, den Schädiger jenseits der Legalität zu bestrafen.
Sei es, weil die gerichtlichen Strafen als zu milde eingeschätzt werden, kein Vertrauen zur Justiz besteh oder Rache als naturgegebenes Urrecht auf Vergeltung nach einer persönlich erlittenen Schädigung oder Ungerechtigkeit betrachtet wird. Von „verschobener Rache“ spricht man, wenn sich die Rache nicht gegen jene Person richtet, die einem den Schaden zugefügt hat, sondern gegen unbeteiligte aus der Familie, dem Gesinnungskreis oder dem sonstigen Umfeld des tatsächlichen oder vermeintlichen Schädigers. Quelle: „Rache“ von Reinhard Haller
Von Hans Klumbies