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Man sollte die Angstlust sehr ernst nehmen

Im zwiespältigen Gefühl der Angstlust zeigt sich, wie sehr moderne Menschen um die Bedeutung ihrer Existenz ringen. Rebekka Reinhard erklärt: „Einerseits haben sie große Lust auf Sinn. Sie wollen das echte, pralle, intensive Leben jenseits austauschbarer Botschaften, jenseits der immer gleichen Binaritäten des Entweder-Oder-Regimes.“ Andererseits haben sie große Angst vor Veränderung – und damit vor der vielgestaltigen, vieldeutigen Realität selbst. Eben deshalb sollte man die Angstlust sehr ernst nehmen. Die Vibrationen, die von ihr ausgehen, können Menschen lähmen und zu Voyeuren machen – sie aber ebenso gut auch inspirieren, den Ausbruch aus der Erstarrung zu wagen. Angstlust ist schlauer als dumpfes Denken, das alles kontrollieren und optimieren will. Die Philosophin Rebekka Reinhard war bis zur Einstellung des Magazins stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.

Lust beflügelt und motiviert

Die Angstlust ist auch schlauer als kluge Argumente, die zu viel Zeit brauchen, um Wirkung zu zeigen. Angstlust ist schneller. Sie kann einen Menschen von einer Minute zur nächsten in die Aktivität katapultieren. Rebekka Reinhard erläutert: „Weil sie uns zeigt, worin der Sinn im Irrsinn bestehen könnte: in der freiwillig gewählten, spielerisch-experimentellen Suche nach diesem Sinn selbst.“ Gibt es etwas Spannenderes im Leben, das man mitbestimmen kann? Das nicht das Alte und Gewohnte wiederkäut? Dessen Drehbuch offen ist für neue Dialoge, neue Protagonisten, neue Entscheidungen, neue Wendungen?

Schon die Entscheidung, nicht gleich jedem „Problem“ die Standardlösung überzustülpen, könnte das Leben um ein paar lustvolle Thrills reicher machen. Rebekka Reinhard weiß: „Angst lähmt und blockiert, Lust beflügelt und motiviert. Angst flieht, Lust sucht man. Angst macht schwer, Lust schwerelos. Angst macht eng und klein, Lust weitet den Horizont.“ Die Lust ist ein Gefühl wie eine Sommerbrise, die nie von Dauer ist, sich aber eben jetzt, in diesem Moment, wie ein Stück Unendlichkeit anfühlt.

Emotionen sind ziemlich schlau

Aristoteles machte zwar im 4. vorchristlichen Jahrhundert einen großen Unterschied zwischen bloßer Lustfixierung und einer guten, gelungenen Existenz. Doch sogar er gab zu, dass die Lust das Leben in wünschenswerter Weise „vollendet“. Die Lust befreit vom Schmerz, die Angst bringt ihn zurück. Angst zerreißt den Schleier, mit dem der Alltag die Sinnfrage verhüllt. Wo Angst aufbricht und den Schleier zerreißt, steht plötzlich ein großes ratloses Fragezeichen im Raum.

Rebekka Reinhard betont: „Damit ist aber jeder Situation der Angst auch eine Chance, sich aus der Erstarrung zu lösen und seine Existenz neu auszurichten: hin zur Lust und zur Leichtigkeit.“ Die moderne Philosophie der Gefühle hält Emotionen allgemein für ziemlich schlau. Sie sind „intentional“ auf einen Gegenstand in der Welt gerichtet, erschöpfen sich also nicht im subjektiven Erleben, sondern präsentieren ihr Objekt auf bestimmte Weise. Zudem ist eine Emotion einer Bewertung, einem Urteil verblüffend ähnlich. Quelle: „Wach denken“ von Rebekka Reinhard

Von Hans Klumbies

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