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Einsamkeit kann ansteckend sein

Mit dem Phänomen der sozialen Ansteckung haben sich seit geraumer Zeit vor allen die Soziologie, die Psychologie, die Medizin, die Ökonomie und zuletzt auch die Informatik beschäftigt. Manfred Spitzer fügt hinzu: „Im Extremfall spricht man von „Massenhysterie“. Bei dieser treten bestimmte Krankheitssymptome auf, die durch soziale Ansteckung bedingt sind.“ Auf den ersten Blick mag es widersprüchlich erscheinen, dass Einsamkeit ansteckend sein soll. Wie kann man von jemanden angesteckt werden, der allein ist? Versteht man unter Einsamkeit jedoch das Erleben sozialer Isolation – und nicht die soziale Isolation selbst, die gar nicht gegeben sein muss –, so ist durchaus widerspruchsfrei denkbar, dass sich dieses Erleben durch soziale Interaktion auf andere übertragen kann. Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen.

Massenhysterie breitet sich über soziale Ansteckung aus

Auch Verhaltensweisen können ansteckend sein, beispielsweise das Gähnen. Man spricht hier von Verhaltensansteckung (behavioral contagion), bei Gefühlserlebnissen wie beispielsweise ansteckender Heiterkeit oder ansteckendem Unmut von emotionaler Ansteckung (emotional contagion). In der Finanzwelt spricht man von financial contagion. Man bezeichnet damit die tückische Gefahr von Finanzkrisen, weil alle das Gleiche fühlen und tun und genau dadurch die Krise erst entsteht.

Der Klassiker unter den einschlägigen Publikationen zur sozialen Ansteckung ist das Werk „Psychologie der Massen“. Geschrieben hat es der französische Arzt und Sozialpsychologen Gustave Le Bon (1841 – 1931). Darin erläutert er die Ausbreitung von Emotionen analog zu Erregern von Krankheiten und deren Konsequenzen im Sinne gesteigerter Angst und verminderter Kritikfähigkeit größerer, der gegenseitigen Ansteckung unterliegender Ansammlungen von Menschen. Entsprechend kann sich ihm zufolge Massenhysterie über soziale und emotionale Ansteckung ausbreiten.

Kreativität wird von positiven Emotionen gefördert

Manche Menschen haben Angst vor Spinnen, andere vor Fahrstühlen. Gibt es irgendetwas, was jeder Person Angst einjagt? Würde man die Macher von Kriminal- oder Horrorfilmen fragen, dann wäre die Antwort eindeutig: Die weit aufgerissenen Augen eines Menschen machen anderen Menschen Angst. Wer Angst hat, denkt scharf und eng fokussiert; und das wiederum bedeutet, dass man unter Angst genauer wird. Die Kehrseite dieser Genauigkeit ist eine geringere Weite; man denkt unter Angst nicht „lateral“, weit und offen oder gar „um die Ecke“ – mit einem Wort: nicht kreativ.

Manfred Spitzer ergänzt: „Demgegenüber wird Kreativität von positiven Emotionen gefördert. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer emotionsbedingten Veränderung des kognitiven Stils.“ Bei der Lösung von Problemen wird die Angst dagegen zu einer tückischen Emotion. Denn sie bewirkt, dass man gedanklich gewissermaßen stecken bleibt. Die Chance, eine Lösung zu finden, nimmt unter Angst ab. Das macht dann noch mehr Angst – ein wahrhafter Teufelskreis! Quelle: „Einsamkeit“ von Manfred Spitzer

Von Hans Klumbies

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