C. G. Jung verfasst eine Psychologie der Typen
C. G. Jung lebte von 1875 bis 1961 und entwickelte sich zu einer überragenden Gestalt in der Psychologie des 20. Jahrhunderts. Zentrum seines Wirkens war über fünfzig Jahre seine Privatpraxis in Küsnacht am Zürichsee. Weder hielt er es lange in psychiatrischen Kliniken aus, noch mochte er sich der akademischen Lehre verschreiben. Seine Schwerpunktthemen waren Geist, Traum, Symbol und Seele. Bekannt geworden ist C. G. Jung auch durch eine allgemeine Beschreibung der Psychologie der Typen. Sie handelt von zwei allgemeinen Typen, die er als introvertiert und extrovertiert bezeichnet. Sie unterscheiden sich vor allem durch ihre eigentümliche Einstellung zum Objekt. Der Introvertierte verhält sich dazu abstrahierend; er ist im Grunde genommen immer darauf bedacht, dem Objekt die Libido zu entziehen, wie wenn er einer Übermacht des Objektes vorzubeugen hätte.
Der Extravertierte hat einen zugänglichen Charakter
Der Extravertierte dagegen verhält sich positiv zum Objekt. Er bejaht dessen Bedeutung in dem Maße, dass er seine subjektive Einstellung beständig nach dem Objekt orientiert und darauf bezieht. Im Grunde genommen hat das Objekt für ihn nie genügend Wert, und darum muss dessen Bedeutung erhöht werden. Die beiden Typen sind dermaßen verschieden, und ihr Gegensatz ist so auffällig, dass ihre Existenz auch dem Laien in psychologischen Dingen ohne weiteres einleuchtend ist, wenn man ihn einmal darauf aufmerksam gemacht hat.
Jedermann kennt jene verschlossenen, schwer zu durchschauenden, oft scheuen Naturen, die den denkbar stärksten Gegensatz bilden zu jene anderen offenen, umgänglichen, öfters heiteren oder wenigstens freundlichen und zugänglichen Charakteren, die mit aller Welt auskommen oder auch sich streiten, aber doch in Beziehung dazu stehen, auf sie wirken und sie auf sich wirken lassen. Man ist natürlich geneigt, solche Unterschiede zunächst nur als individuelle Fälle eigenartiger Charakterbildung aufzufassen.
Introvertierte und Extravertierte gibt es in allen Bevölkerungsschichten
C. G. Jung schreibt: „Wer aber die Gelegenheit hat, viele Menschen gründlich kennenzulernen, wird unschwer die Entdeckung machen, dass es sich bei diesem Gegensatz keineswegs um isolierte Individualfälle handelt, sondern vielmehr um typische Einstellungen, die weit allgemeiner sind, als eine beschränkte psychologische Erfahrung zunächst annehmen musste.“ In der Tat handelt es sich um einen fundamentalen Gegensatz, der bald deutlicher, bald undeutlicher ist, immer aber sichtbar wird, wo es sich um Individuen von einigermaßen ausgesprochener Persönlichkeit handelt.
Solche Menschen trifft man etwa nicht nur unter den Gebildeten, sondern überhaupt in allen Bevölkerungsschichten an, weshalb sich Introvertierte und Extravertierte ebenso wohl beim gewöhnlichen Arbeiter und Bauern wie bei den Höchstdifferenzierten einer Nation nachweisen lassen. Auch der Unterschied des Geschlechts ändert an dieser Tatsache nichts. Man findet die gleichen Gegensätze auch bei den Frauen aller Bevölkerungsschichten. Eine derart allgemeine Verbreitung könnte wohl kaum vorkommen, wenn es sich um eine Angelegenheit des Bewusstseins, das heißt um eine bewusst und absichtlich gewählte Einstellung handelte. Quelle: „Handbuch der Menschenkenntnis“ von Georg Brunold (Hg.)
Von Hans Klumbies