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Manchmal ist Heuchelei unumgänglich

Zur Heuchelei zu greifen, ist aus Gründen der Klugheit unumgänglich, wenn die moralischen Standards formal und unbestimmt sind. Die aufgeklärte Moral unterminiert sich selbst. Sie wird zu einem System, in dessen Kontext sich das Urteil des einen die Furcht vor dem Urteil des anderen spiegelt. Alexander Somek fügt hinzu: „Darüber hinaus unterwandert die heuchlerische Moralität auch die Legalität des Verhaltens.“ Sie tut dies auf zweierlei Weise. Erstens beginnt das Rechtssystem, die Adressaten zu erziehen. Es kommt daher auch nicht von ungefähr, dass die Bekämpfung von sexueller Belästigung nicht so sehr auf die legale Befolgung von Regeln vertraut, sondern auf eine Abrichtung durch Training. Alexander Somek ist seit 2015 Professor für Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

Erziehung führt zu freiwilligen Handlungen

Zweitens verdrängt in diesem Zusammenhang die moralisch inhaltliche Dimension die Relation von Kompetenz und Eingriffsgrenze. Die Moral hat keine Geduld mit Changierendem oder mit der Zweideutigkeit. Das soziale Leben der Menschen ist allerdings damit durchsetzt. Es verleiht ihm eine gewisse Süße. Auch gibt es echte oder vermeintliche Fehlleistungen und Akte, über die objektiv unklar ist, ob sie einen sexuellen Subtext kommunizieren.

Alexander Somek betont: „Der Schutz vor sexueller Belästigung zielt darauf ab, dass die Männer den Frauen mit einer respektvollen Haltung begegnen.“ Andere dazu zu bewegen, gute Haltungen auszubilden, bedeutet nichts anderes, als sie zu erziehen. Diese Erziehung funktioniert umso besser, je tiefer die Unsicherheit über die Verhängung einer Sanktion und der damit verbundenen sozialen Ächtung den Zöglingen ein Über-Ich einsetzt, das sie zur Selbstzensur zwingt. Nach Aristoteles ist die Erziehung der Prozess, wodurch man sich an Handlungen gewöhnt und damit die Einstellung annimmt, aufgrund derer man diese Handlungen freiwillig ausführt.

Das Recht soll Menschen innerlich tugendhaft machen

Da Erziehung nicht notwendig wäre, wenn es ausreichte, an die Einsicht der Zöglinge zu appellieren, bedarf sie der Unterstützung durch Sanktionen und Anreize. Alexander Somek ergänzt: „Das äußerliche Einwirken auf den Handelnden ist für die Erziehung essenziell. Das Recht verleiht den äußeren Mitteln, mit denen Kinder erzogen werden eine über die Kindheit hinausgehende Relevanz.“ Dabei ist es einerlei ob das Recht konventionell auf traditionelle Tugenden oder postkonventionell auf die Haltung universellen Respekts abzielt.

Denn in seiner erzieherischen Funktion zielt das Recht darauf ab, die Menschen durch die äußerliche Veranlassung innerlich tugendhaft zu machen. Wie bei der familiären Erziehung sollen durch Strafe und Anreize gelungene Menschen geschaffen werden. Alexander Somek erklärt: „Dem Recht eine solche Funktion zuzubilligen, ist sinnvoll, wenn man meint, dass das gedeihliche menschliche Zusammenleben moralisch gute Menschen voraussetzt. Das war von der Antike bis ins Mittelalter eine allseits gemachte Unterstellung.“ Quelle: „Moral als Bosheit“ von Alexander Somek

Von Hans Klumbies

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