Resilienz zeugt von Widerstandsfähigkeit
Das deutsche Wort „Resilienz“ stammt vom lateinischen Begriff „resilire“ – zurückspringen, abprallen – ab. Ursprünglich verwendete man das Wort in der Physik. Es bezeichnete die Eigenschaft von Körpern, nach der Verformung durch eine Außenstörung in ihren Ausgangszustand zurückzukehren. Svenja Flaßpöhler will zeigen, dass Resilienz und Sensibilität keineswegs notwendig in Opposition stehen. Das tun sie ihrer Meinung nach nur, solange sie verabsolutiert werden. So offenbart sich bei dem Versuch, die Schriften Ernst Jüngers mit Sigmund Freud zu lesen, dass sich unterhalb der Kriegs- und Gewaltverherrlichung ein Lebensdrang artikuliert, der bei traumatischen Erfahrungen höchster Ohnmacht rettend sein kann. Svenja Flaßpöhler ergänzt: „Auch das Werk Friedrich Nietzsches zeugt bei näherem Hinsehen nicht einfach von Verpanzerungsfanatismus.“ Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und Chefredakteurin des „Philosophie Magazin“.
Ständige Reizüberflutung führt zu Abstumpfung
Hohe Verletzlichkeit und plastische Widerstandsfähigkeit gehen in Friedrich Nietzsches Werken eine unauflösliche Verbindung ein. Solche Berührungspunkte zwischen Sensibilität und Resilienz arbeitet Svenja Flaßpöhler auch in ihrem Buch „Sensibel“ heraus: „Denn wenn es gelänge, die Resilienz mit der Kraft der Empfindsamkeit in ein Bündnis zu bringen, wäre der Konflikt, der gegenwärtig die Gesellschaft spaltet, in etwas Drittem aufgehoben.“ Dass die Beziehung von Sensibilität und Abwehrkraft im allgemeinen Sinn grundsätzlich viel dialektischer ist, als es auf den ersten Blick scheint, zeigt sich auch im Zivilisationsprozess selbst.
Urbanisierung und Technisierung machen den Menschen dünnhäutig und reizbar. Sein Schutz ist die psychische Abschottung. Bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts diagnostiziert der Soziologe Georg Simmel eine „Blasiertheit“ des Großstadtmenschen. Dieser schirmt sich von den vielen Reizen der Außenwelt wie auch gegen etwaige Ansprüche ab, um ihnen überhaupt standhalten und einen Raum innerer Freiheit ausbilden zu können. Paul Valéry stellt eine ganz ähnliche Diagnose: „Nach einer Phase der Verfeinerung“ sei die Sensibilität beim modernen Menschen „im Abnehmen begriffen“, die ständige Reizüberflutung führe schlussendlich zur „Abstumpfung“.
Viele Menschen starren nur noch auf ihr Smartphone
Svenja Flaßpöhler stellt fest: „Eine Feststellung, die sich heute als zutreffender denn je zu erweisen scheint: Schauen doch weite Teile der Bevölkerung, anstatt ihre Umwelt auch nur aus den Augenwinkeln wahrzunehmen, starr und stur auf ihr Smartphone.“ Überreizung und Desensibilisierung sind zwei Seiten einer Medaille. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die Verwerfungen der Gegenwart noch einmal in einem anderen Licht. Teile der Gesellschaft reagieren auf neu formulierte Ansprüche von Minderheiten mit einer ähnlichen Blasiertheit wie Georg Simmels überforderte Großstadtmenschen.
Umgekehrt sind auch die wache (woke) Wahrnehmung von diskriminierenden Implikationen und die entsprechende Beherrschung von politisch korrekten Sprachcodes bisweilen von blasierter Arroganz gezeichnet, die sich wie ein Schutzfilm über die eigene Verletzlichkeit legt. Svenja Flaßpöhler blickt zurück: „Historisch ist zu beobachten, dass gerade auf Phasen extremer Gewalt entscheidende Sensibilisierungsschritte folgen.“ So haben die schwersten weltumspannenden Verbrechen des 20. Jahrhunderts, in denen die Kältelehren ihren schrecklichen Höhepunkt fanden, zu dem menschheitsgeschichtlich vielleicht größten Sensibilisierungsschub geführt. Quelle: „Sensibel“ von Svenja Flaßpöhler
Von Hans Klumbies