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Angst und Lust sind gleichstarke Emotionen

Wenn man auf jemanden wütend ist, urteilt die Wut, dass einem diese Person Unrecht getan hat. Die Wut zeigt dann eine propositionale Einstellung, also eine bestimmte innere Haltung zu einem Sachverhalt. Vor allem aber können Emotionen Wünsche auslösen und zum Tun bewegen. In jedem Menschenleben wechseln sich Phasen der Angst und der Lust ab. Rebekka Reinhard weiß: „Wo sich Angst und Lust treffen, entsteht ein vibrierender Schwebezustand; ein kitzliges Gefühl voller schillernder Widersprüchlichkeit.“ Angstlust ist die Bassline, die überall im Hintergrund wabert. Sie ist der emotionale Soundtrack einer Zeit, die versucht, sich aus sich selbst zu befreien. Als Hybrid aus zwei gleich starken Emotionen, die in entgegengesetzte Richtungen auseinanderstreben, ist die Angstlust wesentlich raffinierter als die primitive Wut und der platte Hass. Die Philosophin Rebekka Reinhard war, bis zur Einstellung der Zeitschrift, stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.

Angstlust spielt im Leben eine entscheidende Rolle

Die Simplizität von Wut und Hass kann der Angstlust nicht im Mindesten das Wasser reichen. Rebekka Reinhard nennt Beispiele: „Angstlust fühlt nicht nur der koksende Chirurg, der Free-Climber auf der Suche nach dem Kick, die Borderlinerin, die mit der Rasierklinge ihre blutenden Unterarme bearbeitet.“ Angstlust ist auch ein gesellschaftliches Phänomen, das in einem Umfeld radikaler Unsicherheit und sich stetig verkürzender Aufmerksamkeitspannen entsteht; in einer scheinbar ewigen Gegenwart.

Nach dem Eintritt des „Realitätsschocks“ hilft die Angstlust bei der Sinnfindung. Denn sie stimmt auf den Thrill des freien Lebens ein, in dem es nicht für jedes Problem eine Lösung gibt. Wo ist die Eindeutigkeit, wo ist die Sicherheit? Weg. Schon ist man in Stimmung für das wohl spannendste Unterhaltungsformat aller Zeiten. Eins, von dem es endlos viele Staffeln gibt: das eigene Leben. Die Angstlust spielt darin eine entscheidende Rolle. Sie verhindert, dass man eine Entweder-Oder-Existenz führt.

Angstlust animiert zum gewagten Neuausprobieren

Die Angstlust motiviert einen Menschen loszulegen, bevor er bereit dazu ist, mit Mut zum Scheitern. Rebekka Reinhard ergänzt: „Sie sensibilisiert Sie für das Zweideutige, Mehrdeutige, Vielschichtige in der Welt – und in Ihnen selbst. Sie inspiriert Sie, nicht immer nur der Mensch zu sein, für den man sie halten soll, sondern gegen das bewährte Ich aufzubegehren.“ Angstlust verweigert sich dem langweiligen Nachäffen, animiert stattdessen zum gewagten Neuausprobieren. Zum Spielen.

Unter den internationalen Games-Märkten rangiert Deutschland aktuell auf Platz fünf. Wer spielt, übt Leben. Spiele eröffnen einen freien, unbelasteten Möglichkeitsraum innerhalb und neben der realen Welt. Rebekka Reinhard fügt hinzu: „Sie regen nicht nur die Vorstellungskraft an, sie trainieren auch die Sozialkompetenz und wecken unseren Siegeswillen. Kooperative wie kompetitive Spiele gehörten immer zu menschlichen Entwicklung, zu Gesellschaft und Kultur.“ Quelle: „Wach denken“ von Rebekka Reinhard

Von Hans Klumbies

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