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Philipp Hübl begibt sich auf die Spur des unbewussten Denkens

Der niederländische Psychologe Ap Dijksterhuis hat in einem vieldiskutierten Experiment die Vernunft des Abwägens in Frage gestellt. Seine provokante These lautet: Bei komplexen Entscheidungen wie einem Autokauf hilft bewusstes Nachdenken nicht weiter. Besser sei, sich keinen Kopf zu machen, eine Nacht darüber zu schlafen und dann spontan zu entscheiden. Ap Dijksterhuis erklärt dies damit, dass dem unbewussten Denken mehr Kapazitäten zur Verfügung stünden und es daher dem bewussten Abwägen überlegen sei. Seinen Ansatz nennt er „Theorie des unbewussten Denkens.“ Philipp Hübl hält diese Theorie für fragwürdig. Denn es gibt etwa ein Dutzend Experimente anderen Forschern, die den Annahmen des Niederländers widersprechen. Denn in der Regel entscheidet derjenige am besten, der bewussten Zugriff auf alle verfügbaren Informationen hat. Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

Das Bewusstsein entschlüsselt Details über die Welt

Philipp Hübl erklärt: „Das Bewusstsein hat vermutlich die Funktion, reichhaltige Details über die Welt zu entschlüsseln. Im Gegensatz zu Tieren können wir Menschen diese Informationen langfristig verwerten. Die Aufmerksamkeit funktioniert dabei wie ein Filter.“ Was die Aufmerksamkeit aus dem Strom des Bewusstseins herausfischt, kann man sprachlich kategorisieren und im Gedächtnis speichern. Genau darauf greift der Mensch zu, wenn er wichtige Lebensentscheidungen trifft. Ein Grund für die Begeisterung für das Unbewusste liegt im Selbstverständnis der Disziplinen, Effekte jenseits der Selbstbeobachtung zu erforschen.

Hätte man einen perfekten Einblick ins eigene Seelenleben, bedürfte es keiner Psychologie. Philipp Hübl ergänzt: „Würden wir alle Einflüsse der Umwelt auf uns kennen, benötigten wir keine Soziologie oder Kulturwissenschaft. Gerade weil die vermeintlichen Entdeckungen in diesen Disziplinen nicht unmittelbar einsichtig sind, präsentieren die Forscher sie oft mit einem Gefühl der Überlegenheit.“ Allen voran Sigmund Freud, der meinte, die Widerstände gegen seine Theorie der Verdrängung rührten daher, dass er „starke Gefühle der Menschheit verletzt“ habe.

Das Computermodell des Geistes lieferte zahlreiche mathematische Modelle für innere Vorgänge

Durch diese „Kränkung“ sah Sigmund Freud sich in einer Reihe mit Nikolaus Kopernikus, der nachgewiesen hat, dass die Erde nicht im Mittelpunkt des Universums steht, und Charles Darwin, der zeigte, dass der Mensch von den Tieren abstammt. In der Zeit nach Sigmund Freud entwickelte sich die kognitive Psychologie und die damit verwandte Künstliche-Intelligenz-Forschung das „Computermodell des Geistes“, demzufolge der Geist sich zum Gehirn verhält wie die Software zu Hardware.

Wenn der Geist ein Programm und das Hirn eine Festplatte ist, dann kann man das Denken als ein Rechenvorgang ansehen. Dieses Modell erlaubte Forschern, über Prozesse als „Berechnungen“ zu sprechen, die sie als mental ansahen, die aber unbewusst in dem Sinne waren, dass sie jenseits des Bewusstseins lagen. Klarer wäre gewesen, wenn man den Bereich der Rechenoperationen von Anfang an als den des Nichtbewussten bezeichnet hätte. Das Computermodell des Geistes lieferte jedenfalls zahlreiche mathematische Modelle für innere Vorgänge, entwickelt für die Sprachwissenschaft von Noam Chomsky und für die Theorie der Wahrnehmung von David Marr. Quelle: „Der Untergrund des Denkens“ von Philipp Hübl

Von Hans Klumbies

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