Allgemein 

Wut und Hass können als Programm dienen

Seit einigen Jahren ist in den westlichen Gesellschaften, sowohl in der politischen Öffentlichkeit als auch im Internet, zu beobachten, wie Gruppen entstehen, die vor allem dadurch auffallen, dass sie tiefsitzende, chronische Gefühle der Unzufriedenheit, des Ärgers und der Wut mit sich herumtragen. Joachim Baur stellt fest: „Ihr Thema ist nicht etwa die konkrete Verbesserung der Verhältnisse. Ihr eigentliches Thema scheinen die in ihnen vorhandenen negativen Gefühle selbst zu sein.“ Affekte wie Wut und Aggression sind normalerweise Hilfsmittel und dienen dem Zweck, einem berechtigten Anliegen Gehör zu verschaffen. Für Menschen, die den genannten Gruppen angehören, sind Wut und Aggression aber nicht mehr Mittel zum Zweck, ihre Affekte sind das eigentliche Programm. Prof. Dr. Med. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt.

Affektgruppen sind immer gegen etwas

Man könnte sie daher als „Affektgruppen“ oder als narzisstische Gruppen bezeichnen. Die emotional aufgeladene Kritik der Affektgruppen zielt nicht etwa darauf, konkrete Missstände zu beheben – was überaus sinnvoll wäre. Diese Gruppen sind nicht für, sondern gegen etwas. Ihre Wut und ihr Hass richten sich auf andere Gruppen innerhalb der Gesellschaft. Gegenstand ihrer Aggression sind einerseits Gruppen, denen sie sich unterlegen und von denen sie sich gedemütigt fühlen. Dazu gehören Gebildete, Kulturschaffende, Wohlhabende oder solche, die sie dafür halten.

Joachim Bauer weiß: „Andererseits hassen sie Gruppen, die sie als Konkurrenz um gemeinsame soziale Ressourcen erleben – Deutsche mit Vorfahren aus dem Ausland, Fremde, Migranten, Menschen mit anderer Hautfarbe.“ Zu ihrem Feindbild zählt außerdem alles, was ihnen fremd und verdächtig ist – darunter Juden, Muslime, Menschen mit anderer sexueller Orientierung und andere. Affektgruppen, also Gruppen, deren Programm sich im Ausdruck negativer, gegen andere Gruppen gerichteter Affekte erschöpft, kultivieren eine Opferhaltung.

Affektgruppen sind eine gefährliche Erscheinung in einer Demokratie

Wer sich als verfolgtes Opfer aufführt, kann sich als jemand fühlen, der besondere Ansprüche stellen darf. Er oder sie kann sich einbilden, nunmehr selbst das Recht zu haben, andere – die angeblich Schuldigen – verfolgen zu dürfen. Joachim Bauer warnt: „Wer die angebliche oder tatsächliche eigene Benachteiligung zum ständigen und alleinigen Thema macht, lähmt sich selbst und schneidet sich von Möglichkeiten ab, welche die Zukunft bieten könnte.“ Menschen, die sich Affektgruppen anschließen, wollen auf der Ebene einer gemeinsamen „kollektiven“ Identität die subjektiv gefühlten Erniedrigungen kompensieren, die man ihrer „persönlichen“ Identität zugefügt habe.

Ein ständig aggressiver Ton, zur Schau gestellte Kraftmeierei und der zum Programm erhobene Traum von nationaler Großartigkeit sollen die über viele Jahre gewachsenen, als quälend empfundenen persönlichen Minderwertigkeitsgefühle ausgleichen. Joachim Bauer warnt: „Affektgruppen leben vom Hass und sind im Hinblick auf die Bewältigung anstehender Krisen eine gefährliche Erscheinung in unseren demokratischen Gesellschaften. Sie schwächen und zerstören den Geist des gesellschaftlichen Zusammenhalts.“ Quelle: „Fühlen, was die Welt fühlt“ von Joachim Bauer

Von Hans Klumbies

Related posts

Leave a Comment