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Jaques Lacan entmystifiziert die Zentralität des Ichs

Was den französischen Psychiater und Psychoanalytiker Jacques Lacan betrifft, so steht am Anfang seiner Psychoanalyse die tiefgründige Reflexion über Narziss. Sowohl Sigmund Freud als auch Jacques Lacan wollten die angebliche Zentralität und Konsistenz des Ichs entmystifizieren sowie jede überschwängliche Schwärmerei, die im Ich alle Triebe und Leidenschaften erschöpft. Isabella Guanzini erklärt: „Wenn die fundamentalistische Leidenschaft für die Identität das Ich zum Kondensationspunkt für jedes Interesse und jede Form von Kult macht, wird das subjektive Leben paranoid und zwanghaft.“ Es wird unfähig, die Präsenz von Alterität in sich selbst und außerhalb zu akzeptieren und damit umzugehen. Wie der italienische Psychoanalytiker Massimo Recalcati exemplarisch erklärt, ist der Brudermord des Kain in engster Verbindung zur Geste des Narziss zu verstehen. Isabella Guanzini ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Universität Graz.

Der Glaube an das Ich ist der größte Wahn des Menschen

Massimo Recalcati schreibt: „Gerade die Faszination der Identität entzündet den Wahn des Ich und schürt Gewalt, Neid und Hass … Der Glaube an das Ich – der größte Wahn des Menschen – bedingt den Destruktionstrieb, der alles zerstört, was diesen Glauben stört.“ Als Wurzel dieser Aggressivität erkennt Isabella Guanzini die Absicht, dass einem Ähnliche als Rivalen zu vernichten, sowie die Unfähigkeit, das eigene fragmentierte Wesen zu akzeptieren. Nämlich das stets gespaltene und vom Mangel gekennzeichnete Wesen, das der andere in einem selbst offenbart.

In Anlehnung an die große philosophische und religiöse Tradition zeigen sowohl Sigmund Freud als auch Jacques Lacan, dass das Ich nie Herr im eigenen Haus ist. Denn es gibt stets einen Bereich der Unkenntnis und Machtlosigkeit in ihm, über den es nie die volle Kontrolle hat, wo jedoch die Wahrheit des menschlichen Begehrens sitzt. Gerade diese Anerkennung und Wahrnehmung der konstituierenden Vielfalt und Exzentrizität des Subjekts bildet den Ausgangspunkt für ein menschliches, demokratisches Leben.

Der Mensch teilt sein Leben intensiv mit anderen

Das Subjekt kann dabei weder auf sein Rationalität noch seine Irrationalität reduziert werden. Es teilt sein Dasein intensiv mit den anderen, indem es jede egozentrierte Arroganz ablegt. Das Bewusstsein erweitert sich dabei, wird offener und gibt einem sogar den Mut, das Unbegreifliche von Fehlleistungen und sprachlichen Kurzschlüssen, Zerstreutheit und Vergessenheit in sich anzunehmen. Mit anderen Worten das, was einer Rückführung auf direkte Kategorien der Interpretation sanft Widerstand leistet.

Wo hingegen Aspekte der Fremdheit oder des Mangels im Namen einer paranoiden Erstarrung oder eines Anspruchs der Herrschaft des Ich verdrängt werden, gerade dort versperrt man sich jede Möglichkeit, das Gemeinsame aufzubauen. Alles, was man sich weigert, in sich selbst zu erkennen, projiziert man auf den anderen. Nämlich auf das, was nicht „Ich“ ist, und macht daraus den Staatsfeind, den es zu bekämpfen gilt, den Fremdkörper, von dem man sich reinigen muss. Quelle: „Zärtlichkeit“ von Isabella Guanzini

Von Hans Klumbies

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