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In der Todesfurcht erkennt der Mensch seine Grenzen

Die Bewegung der Beziehung lässt sich nach Georg Wilhelm Friedrich Hegel als eine Bewegung des gegenseitigen Anerkennens verstehen. Ein Mensch bestätigt sich dabei im anderen und der andere wird von ihm bestätigt. Helm Stierlin ergänzt: „Das vollzieht sich in komplexen Verdopplungsprozessen des Selbstbewusstseins, durch die ich mich, mich selbst verlierend, im anderen gewinne.“ Wenn ein Partner anschließend zu sich selbst zurückkehrt, ist er verändert und die Beziehung hat eine andere Basis gewonnen.

In der Begierde zeigt sich das Tier im Menschen

Dasselbe passiert mit dem zweiten Part der Partnerschaft. Helm Stierlin schreibt: „Diese Wandlung, Selbstbestätigung und Selbstfindung, erlebt in einem sich vorantreibenden Prozess des sich ständig Verlierens und Zurückgewinnens, ist keine bloß intellektuelle oder formale Angelegenheit.“ Vielmehr werden darin drei Momente wesentlich: erstens die Einheit „Begierde-Genuss“, zweitens „Arbeit“ und drittens „Todesfurcht“.

In Begierde und im Streben nach Genuss lassen die Menschen erkennen, wie weit sie in ihrer tierischen Natur verhaftet geblieben sind. Im Wirken des Lustprinzips zeigt sich des Menschen unmittelbarste Motivationsdynamik. Die Fähigkeit zur vegetativen Selbststeuerung und Regeneration erscheint an diese Dynamik gekettet und sie bestimmt das Leben des Organismus bis in seine letzte Zelle. Schon Sigmund Freud erkannte, dass Genuss und Begierde, die in einem bloß triebhaften Sinne aufeinander angewiesen sind, aneinander verschmachten.

Die psychische Arbeit versöhnt das Lustprinzip mit dem Realitätsprinzip

Bei Sigmund Freud ist es die psychische Arbeit, die das Lustprinzip mit dem Realitätsprinzip versöhnt. Helm Stierlin schreibt: „Das ist die oft unter Mühen und Unlustgefühlen vollzogene Arbeit, die uns die Realität anzunehmen und in Grenzen umzugestalten erlaubt, und die uns in diesem Prozess innerlich umstrukturiert.“ Die Arbeit fordert ein starkes Ich und führt außerdem gleichzeitig dazu, dass das Ich weiter gestärkt wird. Für Georg Wilhelm Friedrich Hegel ist die Arbeit nur gehemmte Begierde, aufgehaltenes Verschwinden, oder sie bildet.

Die Todesfurcht, das dritte Moment, lässt den Menschen in dramatischer Weise seine Grenzen erkennen. Denn er steht vor der Aufgabe, sie im Erleben zu akzeptieren und zu überwinden. In ihr berührt ihn der Ernst des Negativen, und sie ist daher für Helm Stierlin der notwendige Stachel, der den Menschen zur Besinnung darüber kommen lässt, was wesentlich und was unwesentlich ist. Allerdings löst das Wissen um den realen Tod nicht notwendigerweise bei allen Menschen Furcht aus, wie das Beispiel der Märtyrer belegt.

Kurzbiographie: Helm Stierlin

Helm Stierlin, geboren 1926, studierte Philosophie und Medizin in Heidelberg, Freiburg und Zürich. Von 1957 bis 1974 arbeitete er als Psychiater und Psychotherapeut hauptsächlich in den USA. In der Zeit von 1966 bist 1974 betrieb er klinische Forschung am National Institute of Mental Health in Bethesda, und zwar mit den Schwerpunkten Schizophrenie, Psychopathologie der Adoleszenz sowie Familientherapie.

Von 1974 bis 1991 leitete Helm Stierlin die Abteilung für psychoanalytische Grundlagenforschung an der Universität Heidelberg. Zu seinen wichtigen Veröffentlichungen zählen unter anderem: „Das Tun des einen ist das Tun des anderen“, Adolf Hitler. Familienperspektiven“ sowie „Eltern und Kinder im Prozess der Ablösung“.

Von Hans Klumbies

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