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Gelegenheitssex ist ein Nullsummenspiel

Nach Auffassung vieler Frauen, mit denen Eva Illouz gesprochen hat, untergräbt die Sexualität die Möglichkeit, als Person anerkannt zu werden. Gelegenheitssex dagegen verwandelt die Begegnung mitunter in ein Nullsummenspiel: das Streben ihres Partners nach einem sexuellen Vergnügen versus ihr Selbstgefühl, das auf Gegenseitigkeit und Anerkennung beruht. Eva Illouz erläutert: „Während sich der Wert einer Frau in traditionellen patriarchalischen Gesellschaften über ihre Klassenzugehörigkeit und ihre sexuelle Tugend bestimmt, wird der Sitz ihres Werts in einem Regime der sexuellen Freiheit verschwommen und ungewiss.“ Die Autonomisierung der Sexualität führt zu einer eingebauten Ungewissheit über den Ort des Werts selbst und über die Möglichkeit einer emotionalen Interaktion. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Außerdem ist sie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.

Gelegenheitssex ist eher eine männliche Form der Sexualität

Frauen stehen Gelegenheitssex insgesamt kulturell ambivalenter gegenüber als Männer. Wie die Forschung zeigt, ist Gelegenheitssex tatsächlich ein Prädikator für sexuelle Reue unter Hochschulstudentinnen, vor allem wenn der Geschlechtsverkehr weniger als 24 Stunden nach dem ersten Kennenlernen stattfand und es keine weitere Begegnung mehr gab. Elaine Eshbaugh und Gary Gute stellen fest: „Die weiblichen Beteiligten verspürten eher als die Männer Reue oder Enttäuschung; sie grübelten auch eher über einen One-Night-Stand nach und verspürten mehr Scham und Selbstzweifel nach dem Erlebnis. Die Männer hingegen fühlten sich eher befriedigt.“

Diese Befunde scheinen einmal mehr zu bestätigen, dass Gelegenheitssex eher einer männlichen Form von Sexualität entspricht. Eva Illouz fügt hinzu: „Geschlechterunterschiede finden sich auch zwischen lesbischen Frauen und schwulen Männern, und zwar dahingehend, dass lesbische Frauen stärker beziehungsorientiert sind als schwule Männer.“ In einem Aufsatz über Depressionen und Liebesbeziehungen unter Heranwachsenden schreiben Catherine Grello und Kollegen: „Junge halbwüchsige Frauen, die Geschlechtsverkehr gleichermaßen in lockeren wie in festen Beziehungen hatten, zeigten das größte Ausmaß an depressiven Symptomen sowohl bevor als auch nachdem sie sexuell aktiv wurden.“

Gelegenheitssex stärkt das Selbstwertgefühl von Frauen nicht

Andere Wissenschaftlerinnen haben festgestellt, dass Hochschulstudentinnen, die Erfahrungen mit Gelegenheitssex gemacht hatten, über ein geringeres Selbstwertgefühl verfügten als Frauen in sexuellen Liebesbeziehungen. Und überraschender noch, als Frauen ohne jede sexuelle Erfahrung. Auch vermuteten sie, dass bei Frauen, die bei Gelegenheitssex Schuldgefühle empfanden, diese Schuldgefühle zu Unbehagen und Verwirrung führten. Dies mag wiederum mit einem geringen Selbstwertgefühl zu tun haben.

In zahlreichen Studien zeigt sich die robuste Korrelation zwischen geringem Selbstwertgefühl und Gelegenheitssex. Eva Illouz hält fest, dass Gelegenheitssex das Selbstwertgefühl von Frauen nicht stärkt, und das, obwohl Sex für beide Geschlechter zu einer neuen Form von Kapital geworden ist. Nämlich zu etwas, nach dem man aus Lust und aus Statusgründen strebt. Die Sexualität von Frauen bleibt dabei in soziale Beziehungen eingebettet, während die männliche Sexualität häufiger und mit größerer Wahrscheinlichkeit entbettet wird. Quelle: „Warum Liebe endet“ von Eva Illouz

Von Hans Klumbies

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