Ein guter Charakter sollte ein Liebensziel sein
Adam Grant stellt fest: „Wenn uns unsere kognitiven Fähigkeiten sind, die uns von Tieren unterscheiden, dann sind es unsere Charaktereigenschaften, die uns Maschinen stellen.“ Computer und Roboter können heute Autos bauen, Flugzeuge lenken, Kriege führen, Geld verwalten, Mandanten vor Gericht vertreten, Krebs diagnostizieren, und sie führen auch Herzoperationen durch. Mehr und mehr kognitive Fähigkeiten werden automatisiert, wir befinden uns mitten in einer Charakterrevolution. Der technologische Fortschritt stellt Interaktion und Beziehungen in den Vordergrund, denn diese Fähigkeiten sind es, die uns menschlich machen und die daher beherrscht werden müssen. Wenn die meisten Menschen Erfolg und Glück als ihre wichtigsten Lebensziele angehen, fragt sich Adam Grant, warum der Charakter nicht ganz oben auf der Liste steht. Adam Grant ist Professor für Organisationspsychologie an der renommierten Wharton Business School. Seine Forschungsbeiträge im Bereich Motivation und Produktivität wurden vielfach ausgezeichnet.
Fehlversuche dürfen nicht zur Mutlosigkeit führen
Bei Adam Grants Untersuchung der Charaktereigenschaften, die verborgenes Potenzial freisetzen können, hat er bestimmte wichtige Formen von Proaktivität, Entschlossenheit und Disziplin identifiziert. Große Entfernungen zu überwinden erfordert den Mut, die richtige Dosis an Unangenehmen auszuhalten, sowie die Fähigkeit, die richtigen Informationen aufzunehmen, und den Willen, die richtigen Unvollkommenheiten zu akzeptieren. Die Schriftstellerin Helen Keller schreibt: „Der Charakter kann sich nicht in einem Zustand der Ruhe und Gelassenheit entwickeln.“
Helen Keller fährt fort: „Nur wenn man Prüfungen und Leid erfährt, kann die Seele gestärkt, der Weitblick geschärft, Ehrgeiz geweckt und Erfolg erzielt werden.“ Wenn man sich mit dem Unbehagen anfreundet, kann das verborgenes Potenzial in vielen verschiedenen Arten des Lernens freisetzen. Den Mut aufzubringen, sich dem Unangenehmen zu stellen, ist eine charakterliche Fähigkeit – eine besonders wichtige Form der Entschlossenheit. Man braucht sehr viel Mut, die bewährten Methoden aufzugeben, bevor man sich bereit fühlt und mehr Fehlversuche zu machen, als andere es überhaupt probieren.
Jahrzehnte lang wurden viele Schulen betrieben wie Fabriken
Der beste Weg, um sich weiterzuentwickeln, besteht darin, das Unbehagen anzunehmen, zu suchen und zu verstärken. Adam Grant kritisiert: „Eine gängige Lehrmethode in den Schulen hat viele Lernende davon abgehalten, sich in unangenehme Situationen zu begeben. Sie entstand als gut gemeinte Lösung für ein allgegenwärtiges Problem im US-amerikanischen Bildungssystems. Jahrzehnte lang wurden viele Schulen betrieben wie Fabriken, und Schüler wurden wie austauschbare Teile in der Massenproduktion von jungen Denkern behandelt.“
Obwohl sie alle über unterschiedliche Stärken verfügten, mussten sie dasselbe Wissen durch die dieselben standardisierten Unterrichtseinheiten und Lektionen aufnehmen. In den 1970er-Jahren stellte dann eine neue Denkweise auf den Kopf. Adam Grant erklärt: „Die Grundannahme bestand darin, dass die Schwierigkeiten der Schüler darauf zurückzuführen seien, dass die Unterrichtsmethoden nicht auf ihren Lernstil zugeschnitten waren, also auf die kognitiven Funktionen, die sie dazu befähigten, Informationen am besten aufzunehmen und abzuspeichern.“ Quelle: „Hidden Potential“ von Adam Grant
Von Hans Klumbies