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Die Aufmerksamkeit dient vor allem der Selektion

Psychologen und Neurowissenschaftler unterscheiden Aufmerksamkeit und Bewusstsein zwar schon seit über 100 Jahren, doch besonders in den letzten 30 Jahren hat die Forschung stark angezogen. Philosophen waren allerdings zunächst nur vom phänomenalen Bewusstsein in den Bann geschlagen, das sie als das größte Rätsel der Menschheit ansehen. Phillip Hübl ergänzt: „Die Aufmerksamkeit, die kleine Schwester des Bewusstseins, hat ihren Durchbruch erst kürzlich geschafft.“ Neben „Konzentration“ kennt man noch andere mit „Aufmerksamkeit“ verwandte Begriffe wie „Wachsamkeit“, „Fokus“, „Sorgfalt“ oder „Geistesgegenwart“. Auch wenn sie sich sicherlich in Nuancen unterscheiden, kann man Aufmerksamkeit als das Kernstück dieser Phänomene betrachten. Angesichts der Fülle von Phänomenen hat sich unter Fachleuten der Verdacht breitgemacht, dass Aufmerksamkeit keine einheitliche Erscheinung sei. Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

Die Aufmerksamkeit ist in ihrer Kapazität beschränkt

Philipp Hübl geht allerdings davon aus, dass es zumindest ein Kernphänomen der Aufmerksamkeit gibt. Vor allem ist die Funktion der Aufmerksamkeit eine Form der Selektion. Außerdem verändert die Aufmerksamkeit das Bewusstseinsfeld, indem es Reize intensiviert, verbindet oder neu sortiert. Schließlich ist die Aufmerksamkeit in ihrer Kapazität beschränkt. Ein Tier lebt immer nur im Moment und kann seine Eindrücke nicht weiterverarbeiten oder gar in Worte fassen. Der Mensch hingegen hat diese Fähigkeit, und zwar, weil sein Arbeitsspeicher ihm dabei hilft.

Er ist eines von mehreren Systemen des Kurzzeitgedächtnisses, zu denen ein sensorischer Speicher und ein fragiler visueller Arbeitsspeicher gehört. Philipp Hübl erklärt: „Der menschliche Arbeitsspeicher ist wie bei einem Computer beschränkt, denn es können nur wenige Informationseinheiten auf einmal hineingelangen, die dann auch nur für wenige Sekunden Bestand haben.“ Ein Mensch kann zum Beispiel auch nur wenige Wörter am Stück erfassen, und zwar auch nur dann, wenn er sie als mentale Einheiten verarbeitet und nicht als Folgen von Buchstaben.

Das Langzeitgedächtnis hat zwei Wächter

Offenbar kommen Einheiten im Arbeitsspeicher im sensorischen Format an und werden dann kategorisiert, also in ein anderes, abstrakteres Format umgewandelt, beispielsweise formen sich Laute in abstrakte Wortbedeutungen um. So können diese Einheiten dann an andere Systeme im Geist weitergereicht werden, beispielsweise an das Langzeitgedächtnis. Man merkt sich ja normalerweise nicht jedes einzelne Wort von Geschichten, sondern deren Inhalt. Damit ein unbewusster Reiz im Langzeitgedächtnis ankommt, muss er mindestens an zwei Wächtern vorbei.

Der erste lässt ihn ins Bewusstsein, der zweite lässt ihn in den Arbeitsspeicher. Philipp Hübl nennt den ersten Wächter „Türsteher“ und den zweiten, der im Innenraum des Bewusstseins arbeitet, „Selekteur“. Die sogenannten „Türsteher-Theorien“ sagen, Aufmerksamkeit sei der Wächter, der Reizen den Zugang zum Bewusstsein ermöglicht. Die eher klassischen Theorien, die man „Selekteur-Theorien“ nennen könnte, sehen die Funktion von Aufmerksamkeit darin, Informationen aus dem Bewusstsein Zugang zum Arbeitsspeicher zu verschaffen, sodass man auf sie zugreifen und sie sich dauerhaft merken kann. Quelle: „Der Untergrund des Denkens“ von Philipp Hübl

Von Hans Klumbies

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