Der Narzisst ist von Neid zerfressen
Heinz Kohut ist ein aus Wien stammender amerikanischer Psychoanalytiker. Er vertritt die These, dass ein Narzisst nur dann befriedigt ist, wenn er den Kränkenden bis zur völligen Vernichtung entwerten kann. Der narzisstisch Gekränkte kann nicht ruhen, bis er den unscharf wahrgenommenen Beleidiger ausgelöscht hat. Denn dieser wagte es, ihm entgegenzutreten, nicht mit ihm übereinzustimmen oder ihn zu überstrahlen. Reinhard Haller weiß: „Hinter all dem steht als psychodynamische Triebkraft der Neid. Der Neid auf allen, denen es scheinbar besser geht oder die überlegen sind.“ Diese als höchst bedrohlich wahrgenommenen Konkurrenten können nur durch die totale Entwertung abgewehrt werden. Auf narzisstische Kränkungen reagieren manche mit narzisstischer Wut. Deren Heftigkeit ist für die Mitmenschen oft nicht nachvollziehbar. Der Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller arbeitet vornehmlich als Therapeut, Sachverständiger und Vortragender.
Ein Narzisst vergisst Niederlagen niemals
Narzissten erleben jegliche Art von Kritik als totale Ablehnung ihrer Person, als existenzbedrohende Niederlage oder als persönliches Desaster. Kritik wird, sei sie noch so wohlmeinend und konstruktiv, als Feindseligkeit ersten Ranges empfunden. Das Gefühl einer einmal erlebten Niederlage ist so heftig, dass es niemals vergessen werden kann. Der Narzisst erinnert sich vielleicht gar nicht an solche Situationen, aber innerlich durchlebt er sie immer und immer wieder.
Für die Mitmenschen scheint es unerklärlich, weshalb ein Narzisst wegen Kleinigkeiten mit Wutausbrüchen und Hasstiraden reagiert. Denn sie können den Bezug zu seinen tief verwurzelten, aktuell wieder aufgebrochenen Kränkungsängsten gar nicht herstellen. Heinz Kohut, der den Begriff der narzisstischen Wut geprägt hat, erklärt deren Unterschied zu anderen Formen der Aggressivität mit dem einzigartigen Rachedurst. Das Bedürfnis, ein Unrecht zu korrigieren, eine Beleidigung auszumerzen, mit welchen Mitteln auch immer, ist wie ein tief verwurzelter unerbittlicher Zwang bei der Verfolgung all dieser Ziele.
Narzissten sind die Meister der Kränkung
Allen, die eine narzisstische Kränkung erlitten haben, lässt dieser Rachedurst keine Ruhe mehr. Der Narzissmus nimmt für Reinhard Haller in der Kränkungsproblematik eine absolute Sonderstellung ein: „Keine andere psychische Störung ist derart eng mit Kränken und Gekränktsein, mit Selbsterhöhung und Entwertung anderer verbunden wie der Narzissmus.“ Narzissten sind auf der einen Seite extrem empfindlich und bis zu einer lebenslangen Unverzeihlichkeit reichenden Weise kränkbar.
Narzissten sind dünnhäutig, nachtragend und in einer nahezu schutzlosen Weise verletzlich. Auf der anderen Seite sind Narzissten die „Kränker“ schlechthin, weil sie sich überhaupt nicht in andere Menschen einfühlen können. Deshalb schöpfen sie ihren Selbstwert aus der Erniedrigung und Entwertung anderer. Ein ganz auf sich und sein Wohl zentrierter Narzisst ist gar nicht in der Lage, die Kränkungsgrenze des anderen zu erkennen und dessen Kränkbarkeit zu respektieren. Narzissten sind die Meister der Kränkung, aktiv und passiv. Quelle: „Die Macht der Kränkung“ von Reinhard Haller
Von Hans Klumbies