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Das Ressentiment entwertet alles

Max Scheler beschreibt laut Cynthia Fleury einen Umstand perfekt: Das Ressentiment bedient sich der Urteilskraft, um alles zu entwerten, was es dazu bringen könnte, sich zu reformieren und damit zu verschwinden. Das Ressentiment hat eine extrem starke Fähigkeit zur Selbsterhaltung. Ein erster Weg zur Entwicklung eines Gegenmittels gegen das Ressentiment ist der Begriff der gefühlten Gleichheit. Cynthia Fleury erklärt: „Die Struktur des Ressentiments ist egalitär: Es entsteht in dem Moment, in dem sich das Subjekt zwar als ungleich, aber vor allem als benachteiligt, weil gleich, empfindet.“ Sich ungleich zu fühlen reicht nicht aus, um einen solchen Gemütszustand zu erzeugen. Die Philosophin und Psychoanalytikerin Cynthia Fleury ist unter anderem Professorin für Geisteswissenschaften und Gesundheit am Conservatoire National des Arts et Métiers in Paris.

Ressentiment entsteht durch den Glauben an ein Recht

Die Frustration entwickelt sich auf dem Nährboden des „Rechts auf“. Cynthia Fleury ergänzt: „Ich fühle mich frustriert, weil ich an mein Soll oder an mein Recht glaube. Es bedarf des Glaubens an ein Recht, um Ressentiments zu empfinden.“ Zumindest ist dies die These von Max Scheler und der Erben Alexis de Tocquevilles, die davon ausgingen, dass die Demokratie ihrem Wesen nach ein System ist, welches das Ressentiment genau deshalb hervorruft, weil der Begriff der Gleichheit ein strukturelles Problem ist.

Es geht hier nicht darum, die Notwendigkeit der Gleichheit zur Vermeidung des Ressentiments zu leugnen – das hieße, die Ultralösung der Palo-Alto-Schule zu übernehmen, die darin besteht, den Kraken zu töten, um ein Übel auszurotten: „Operation gelungen, Patient tot.“ Cynthia Fleury macht noch einmal auf das Zitat von Max Scheler aufmerksam: „Wenn der „Gemeine“ nur durch das Gefühl zufrieden ist, einen gleichen Wert zu besitzen, bedeutet das nicht, dass er einen solchen besitzt, sondern dass er die Illusion davon haben muss.“

Die Erfindung der eigenen Überlegenheit hat noch nie Überlegenheit hervorgebracht

Anders gesagt: „Die „gemeinsame Welt wird dadurch aufrechterhalten, dass jeder das Recht hat, sich über seinen eigenen Wert Illusionen zu machen. Cynthia Fleury betont: „Außerdem ist das, was den Gemeinen ausmacht oder ihn zumindest in der Mittelmäßigkeit gefangen hält, die Unfähigkeit, den Wert anderer anzuerkennen, obwohl er glaubt, dass ihm das helfen würde, aus seiner Unzulänglichkeit herauszukommen.“ Doch die Erfindung der eigenen Überlegenheit hat noch nie Überlegenheit hervorgebracht.

Bewundern zu können, den Wert anderer anerkennen zu können ist dagegen ein echtes Gegenmittel gegen Ressentiments, auch wenn es zunächst mehr Seelenstärke erfordert. Cynthia Fleury erläutert: „Gleichwohl reicht es beim Ressentiment nicht, andere schlechtzumachen. Es bedarf eines weiteren Schrittes, nämlich der Anklage. Da diese aber keinen wirklichen Gegenstand hat, schlägt sie in Denunziation und Desinformation um.“ Da es keinen Mord gegeben hat, muss man eine Leiche fabrizieren. Von nun an wird der andere schuldig sein. Es setzt sich eine Art „universelle Entwertung“ in Gang. Quelle: „Hier liegt Bitterkeit begraben“ von Cynthia Fleury

Von Hans Klumbies

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