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Anna Freuds kritische Psychoanalyse für Pädagogen

Anna Freud ist ein entschiedener Gegner des Vererbungswahns, der alle Eigenschaften des Kindes auf biologische Dispositionen zurückführen will. Die Gesellschaft erntet dann in der Psychopathologie und im späteren Leben der Kinder als Erwachsene, was die Eltern in der Kinderstube gesät haben. Die Kindheit ist laut Anna Freud entscheidend für das spätere Leben des Menschen, wobei die Erziehung unmittelbar nach der Geburt beginnt.

Liebe ist das entscheidende Kriterium in der Erziehung

Für Anna Freud lehrt die Psychoanalyse, dass verstehende Liebe das A und O der gesunden Entwicklung eines Kindes ist. Anna Freud zitiert bei ihrem Vortrag vor Erzieherinnen und Lehrern im Jahr 1928 die Aussage eines Achtjährigen, der in einer schlechten Ehe der Eltern lebte: „Wenn der Vater die Mutter nicht liebt, dann liebt auch die Mutter den Vater nicht, dann können sie mich auch nicht gern haben, dann mag ich sie auch nicht; und dann taugt die ganze Familie nichts.“

Ein schulpflichtiges Kind, das gesittet in der Schulbank sitzt und dem Unterricht zu folgen versucht, ist laut Anna Freud bereits ein großartiges Produkt erzieherischer Leistungen. Dennoch beklagt sie den Verfall an Intelligenz bei Kindern, die schon einen gewissen Prozess der Erziehung hinter sich haben. Anna Freud schreibt: „Wer Gelegenheit hat, mit drei- bis vierjährigen Kindern zu verkehren oder zu spielen, der ist überrascht von dem Reichtum ihrer Phantasie, der Größe ihres Gesichtskreises, der Klarheit ihres Verstandes und der unerbittlichen Logik ihrer Fragen und Schlussfolgerungen.“

Kinder sollten nicht zur Bravheit erzogen werden

Anna Freud fährt fort: „Die gleichen Kinder im Schulalter werden dem Erwachsenen im näheren Umgang eher einfältig, flach und wenig interessant erscheinen.“ Sie warnt vor der Gefahr, Kinder zur Bravheit zu erziehen. Denn man opfert für sie die Ursprünglichkeit des Kindes, gleichzeitig mit großen Teilen seiner Energien und Begabungen. Anna Freud schreibt: „Die Einschränkungen, die man ihrem Denken auferlegt und die Hemmnisse, die man ihren ursprünglichen Betätigungen in den Weg gestellt hat, äußern sich in der Folge als Beschränktheit ihres Denkens und Hemmung ihrer Handlungsweise.“

Ihrer Meinung nach rächt es sich schwer, dass die übliche Erziehung eine Pädagogik der Verdrängung und Regression ist. Da die Eltern selbst so erzogen wurden, geben sie den Autoritarismus und die Sexualfeindlichkeit an ihre Kinder weiter, die später als Eltern wiederum das Defizit an Antriebsfreundlichkeit an ihre Kinder vererben.

Kurzbiographie: Anna Freud

Anna Freud wurde 1895 in Wien geboren. Sie machte zuerst ihr Examen als Grundschullehrerin, bevor sie 1922 als Mitglied des Internationalen Psychoanalytischen Kongresses aufgenommen wurde. Ab 1923 arbeitet sie als Psychoanalytikerin in Berlin. Von 1927 bis 1934 leitete sie den Internationalen Psychoanalytischen Kongress. 1935 wurde sie Direktorin des Psychoanalytischen Instituts in Wien. 1947 gründete sie in England die Hampstead Child Therapy Clinic. Anna Freud starb 1982.

Von Hans Klumbies

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One Thought to “Anna Freuds kritische Psychoanalyse für Pädagogen”

  1. Nunja, natürlich finden in der Kindheit und auch schon vor der Geburt die ersten Weichenstellungen in diesem Leben statt, aber nicht die letzten.
    FAHREN heißt ja REISEN, und so ist Leben von Anfang an ErFAHREN und ErFAHRungensammeln.
    Für mich als Ich-kann-Schule-Lehrer ist das Raster Vererbung / Erziehung und das Fehler zu Personen Zuordnen zu grob. Mich interessieren die Kräfte & Talente der einzelnen Menschen und a) mein Einfluss auf ihre Kräfte & Talente. Dafür muss ich aber erst mit meinen eigenen Kräften und Talenten so gut umgehen können, dass es für andere Kräfte & Talente interessant wird, d.h. dass sie dabei sein möchten. Anders als meistens in Pädagogik und Therapie setze ich nicht auf Druck sondern auf SOG-Wirkung.
    Die Natur des Kindes wird vergewaltigt und erpresst, heißt: Wir machen perverserweise Druck, wenn wir erziehen. Unsere Erziehung ist de facto meist Erdrückung. Und mit Druck bekommt man natürlich auch ein anderes Ergebnis wie wenn man sich was einfallen lässt, was ZIEHT. Es geht nicht darum, die Kinder dahin zu zerren, wo sie sich nicht schieben lassen. Der Mensch als mit GEIST begabtes Wesen müsste doch stets die SOG-Wirkungen ders Lebens spüren. Sie zeigen ihm, wie man das bedienen lernt, was man beherrschen will. Ich grüße freundlich.
    Franz Josef Neffe

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