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Der Charakter bleibt auch im Alter formbar

Ende des 19. Jahrhunderts stellte William James, der Gründervater der Psychologie in den USA, eine kühne Behauptung auf: „Im Alter von dreißig Jahren erstarrt der Charakter wie Gips und wird nie wieder weich.“ Kinder können demnach ihren Charakter noch entwickeln, Erwachsene haben Pech gehabt. Vor Kurzem hat ein Team von Sozialwissenschaftlern ein Experiment gestartet, um diese Hypothese zu überprüfen. Adam Grant erklärt: „Die Gruppe, bei der es um die Förderung des Charakters ging, nahm an einem von Psychologen konzipieren Kurs teil, der zum Ziel hatte, die Eigeninitiative zu steigern.“ Die Probanden beschäftigten sich mit den Themen Proaktivität, Disziplin und Entschlossenheit und übten, diese Eigenschaften in die Tat umzusetzen. Adam Grant ist Professor für Organisationspsychologie an der renommierten Wharton Business School. Seine Forschungsbeiträge im Bereich Motivation und Produktivität wurden vielfach ausgezeichnet.

Charakter wird oft mit Persönlichkeit verwechselt

Das Charaktertraining zeigte Wirkung. Es ist ein Beleg dafür, dass Charakterstärken Menschen Großes vollbringen lassen können. Adam Grant betont: „Die Studie zeigt aber auch, dass es nie zu spät ist, sie zu entwickeln. William James war ein sehr kluger Mann, aber in diesem Fall lag er total daneben. Der Charakter härtet nicht aus wie Gips, er bleibt formbar.“ Charakter wird oft mit Persönlichkeit verwechselt, doch handelt es sich hierbei um unterschiedliche Facetten.

Die Persönlichkeit ist die individuelle Veranlagung, ein grundlegender Instinkt dafür, wie man denkt, fühlt und handelt. Charakter hingegen ist die Fähigkeit, die eigenen Werte über den Instinkt zu stellen. Adam Grant weiß: „Die eigenen Prinzipien zu kennen, bedeutet nicht unbedingt, zu wissen, wie man nach ihnen lebt – besonders in Stresssituationen oder unter Druck.“ Es ist leicht, proaktiv und entschlossen zu sein, wenn alles gut läuft. Die wahre Charakterprüfung besteht vielmehr darin, ob es einem Menschen gelingt, zu diesen Werten zu stehen, wenn man starkem Gegenwind ausgesetzt ist.

Die Persönlichkeit ist lediglich eine Neigung

Die Persönlichkeit zeigt sich an der Art, wie man an einem typischen Tag reagiert, der Charakter daran, wie man es an einem schwierigen Tag tut. Man ist seiner Persönlichkeit jedoch nicht unterworfen, sie ist lediglich eine Neigung. Charakterstärken ermöglichen es einem Menschen, diese Neigung zu überwinden und seinen Prinzipien treu zu bleiben. Adam Grant erläutert: „Nicht die Wesenszüge sind es, die hier von Bedeutung sind, sondern wie man sie einsetzt.“

Wo auch immer ein Mensch heute steht, nichts hält ihn davon ab, seine Charakterstärken weiterzuentwickeln. Adam Grant kritisiert: „Viel zu lange wurden Charakterstärken wie Proaktivität und Entschlossenheit als sogenannte Soft Skills abgetan.“ Der Begriff kam Ende der 1960er-Jahre auf, als Psychologen zu einer Neuausrichtung der Ausbildung der US-Armee hinzugezogen wurden, damit nicht nur Panzerfahren und der Umgang mit Waffen auf dem Lehrplan standen. Quelle: „Hidden Potential“ von Adam Grant

Von Hans Klumbies

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