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Soziale Onlinemedien machen einsam

„Verloren unter 100 Freunden“ lautete der Titel eines Buches der Soziologin Sherry Turkle. Sie machte darin schon vor Jahren auf eine Paradoxie aufmerksam. Ein Mehr an digitaler Konnektivität geht keineswegs mit einer Zunahme vermehrter erlebter sozialer Verbundenheit einher. Ganz im Gegenteil: Die Autorin kam zu dem Schluss, dass junge Menschen sich mittlerweile mehr in virtuellen Welten als in der Realität mit „echten“ Freunden aufhalten. Menschen sind in höchstem Maße soziale Wesen. Sie sind von Natur auf Gemeinschaft angelegt und sie reagieren mit Schmerzen auf Vereinsamung. Manfred Spitzer stellt fest: „Wenn Medien also tatsächlich zwischen den Menschen stehen und damit wirkliche Kontakte behindern – und damit wiederum Einsamkeit erzeugen –, dann sollte sich das langfristig auf das Befinden von Menschen auswirken.“ Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen.

Das permanente Vergleichen macht krank

Wissenschaftliche Erkenntnisse belegen: Soziale Onlinemedien verursachen Einsamkeit, Angst und Depression. Diese Feststellung ist so bedeutsam und erschreckend zugleich. Denn die sozialen Onlinemedien machen heute gerade bei jungen Menschen einen wesentlichen Teil der Alltagsgestaltung aus. Natürlich könnte es sein, dass einsame Menschen eher dazu neigen, soziale Onlinemedien aufzusuchen. Es könnte aber auch umgekehrt sein: Zum einen hat man wegen der Nutzung sozialer Onlinemedien weniger Zeit für reale Kontakte. Zudem kann man leicht neidisch werden auf die vielen Leute, die immer mehr Freunde und Likes haben als man selbst.

Und drittens entspricht nicht immer alles der Wahrheit, was andere von sich behaupten. Dadurch können leicht Neid und/oder Enttäuschung geschürt werden. Das Auslösen solcher Gefühle und der verschärfte Drang, sich mit anderen zu vergleichen – geschürt durch Bilder, die das ganze so realistisch machen –, stellen im Kern den negativen Aspekt sozialer Onlinemedien dar. Manfred Spitzer erläutert: „Das permanente Vergleichen mit anderen, die eigenen soziale Orientierung nach oben und Selbstunsicherheit sind vorrangige Persönlichkeitseigenschaften, die in Verbindung mit sozialen Onlinemedien krank machen.“

Soziale Medien schaden der seelischen Gesundheit

Für Manfred Spitzer ist eines vollkommen klar: Soziale Medien schaden der seelischen Gesundheit. Seit dem Aufkommen der sozialen Online-Netzwerke wie Facebook oder Twitter hat das Interesse am Phänomen der sozialen Ansteckung nochmals deutlich zugenommen. Ein wissenschaftliches Experiment kam zu folgendem Ergebnis: Menschen lassen sich tatsächlich durch soziale Medien von der Stimmung anderer Menschen anstecken. Klar ist auch: Vertrauen ist ein wesentlicher Grundpfeiler von Zufriedenheit, Glück und Gesundheit des Einzelnen.

Vertrauen entsteht unter anderem durch eine gelingende Interaktion zwischen fremden Menschen: Nach dem Weg fragen, einen Kaffee oder ein Eis kaufen sind die kleinen Bausteine, auf denen eine Gemeinschaft fußt. Manfred Spitzer erklärt: „Täglich millionenfach ablaufende kleine Handlungen dieser Art sind der Nährboden von allgemeinem Vertrauen, durch den sich Gesellschaften deutlich voneinander unterscheiden können.“ Das Ganze klappt jedoch nur, wenn jeder sich an die Spielregeln hält. Denn Vertrauen ist schnell verspielt und nur langsam wieder aufgebaut. Quelle: „Einsamkeit“ von Manfred Spitzer

Von Hans Klumbies

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