Allgemein 

Selbstbeherrschung dämpft die Destruktion

Die Aufgabe, die sich Sigmund Freud in seinen Arbeiten zur Gruppenpsychologie stellt, liegt darin, die Widerstandskraft des kritischen Vermögens zu stärken. Judith Butler stellt fest: „Liebe wird gelegentlich als Gegenkraft zur Destruktion betrachtet, an anderen Stellen scheint es dieses so wichtige „kritische Vermögen“ zu sein.“ In seiner Abhandlung „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ von 1921 beschreibt das „kritische Vermögen“ Überlegung und Reflexion in unterschiedlichen Formen, während es in „Das Ich und das Es“ aus dem Folgejahr mit dem Über-Ich als grausamer Instanz gegenüber dem Ich in Verbindung gebracht wird. Schließlich wird das Über-Ich als „Reinkultur des Todestriebes“ identifiziert, und nun ist das Gegengewicht gegen die Destruktion eine wohlerwogene Form der Selbstbeherrschung. Das heißt, die Wendung der Destruktivität gegen die eigenen destruktiven Impulse. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

Die ungezügelte Wirkung des Über-Ich kann zum Selbstmord führen

Judith Butler erläutert: „Selbstbeherrschung ist damit eine absichtliche und reflektierte Form von Destruktivität, gerichtet gegen die Externalisierung destruktiver Ziele. Anders gesagt wird die Einhegung der destruktiven Impulse, die früher in Sigmund Freuds Werk durch „Verbote“ erfolgte, mit Einführung des Über-Ichs als psychischer Mechanismus der Grausamkeit verstanden. Die Aufgabe des Über-Ich ist die Umleitung seiner Zerstörungskraft gegen seine destruktiven Impulse.

Das Problem bei dieser Lösung ist natürlich, dass die ungezügelte Wirkung des Über-Ich zum Selbstmord führen kann, indem die Zerstörung des anderen in Selbstzerstörung verwandelt wird. Einerseits scheint das „kritische Vermögen“ durchaus die Handlungsfolgen zu beachten und Ausdrucks- und Handlungsformen zu überwachen, um Schaden zu verhüten. Judith Butler fügt hinzu: „Andererseits ist sein Ziel als Ausdruck des Todestriebes potenziell für das Ich selbstzerstörerisch. Moderate Selbstbeherrschung kann in ungezügelte selbstmörderische Selbstherabsetzung umschlagen, wo der Todestrieb selbst nicht in Schach gehalten wird.“

Der Eros ist das Gegengewicht zum Todestrieb

Das bedeutet paradoxerweise, dass die kritische Instanz, die destruktive Impulse begrenzen soll, zu einem internalisierten Instrument der destruktiven Impulse werden und das Leben des Ich selbst in Gefahr bringen kann. Judith Butler weiß: „Daher müssen die Selbsterhaltungstendenzen des Eros als Gegengewicht zum Todestrieb und seinem Zerstörungswerk ins Spiel gebracht werden.“ Arbeitet das Über-Ich an der Zerstörung des Ich, um dessen destruktiven Ausdruck zu unterbinden, so ist es doch auch selbst destruktiv.

Das gefährdete Objekt ist nun aber nicht mehr der andere oder die Welt, sondern das Ich selbst. Judith Butler ergänzt: „Das kritische Vermögen ist also für die Eindämmung der Destruktivität nur von begrenztem Nutzen, da es die Destruktivität des Über-Ich nicht kontrollieren kann. Dazu ist eine Gegenkraft im Dienst der Selbsterhaltung und allgemein der Erhaltung des Lebens erforderlich.“ So oder so: Impulse sind strukturiert entweder durch die Macht, die sie unterdrückt, oder durch die Macht, die sie befreit. Quelle: „Die Macht der Gewaltlosigkeit“ von Judith Butler

Von Hans Klumbies

Related posts

Leave a Comment