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Toleranz ist eine vorübergehende Gesinnung

Reinhard K. Springer erklärt: „Der Begriff „Ambiguitätstoleranz“ wurde nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt. Man versuchte wissenschaftlich herauszufinden, wieso sich bei Nazi-Größen der extreme Antisemitismus als Persönlichkeitsmerkmal entwickelt hatte.“ Seinen publizistischen Niederschlag fand dieses Konzept in Theodor W. Adornos berühmten Buch „Studien zum autoritären Charakter“. Es ist ein schwieriger Begriff. Nicht nur wegen seiner Länge, nicht nur wegen des ungebräuchlichen Fremdwortes „Ambiguität“. Sondern auch wegen der „Toleranz“. Johann Wolfgang von Goethe hielt Toleranz für minderwertig: „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen.“ Das ist, mit Verlaub, zu viel verlangt. Reinhard K. Sprenger will unterscheiden dürfen zwischen dem, was er tatsächlich befürwortet, und dem, was er erträgt und toleriert. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

Viele Menschen erleben Mehrdeutigkeit als Stress

Tolerant ist man also, wenn man etwas nicht mag, aber es trotzdem zulässt. Kaum jemand ruft bei Mehrdeutigkeit „Hurra!“. Die hierzulande viel gepriesene „Meinungsstärke“ blendet lediglich die Ambivalenz aus. Das Verständnis für Mehrdeutigkeit, das Aushalten offener Fragen und Situationen, hat gesamtgesellschaftlich abgenommen. Viele Menschen erleben Mehrdeutigkeit als Stress. Alles muss erledigt, möglichst rasch geklärt werden. Dadurch erleben sich die Menschen als selbstwirksam – auch wenn es immer nur eine Schein-Erledigung sein kann.

So machen es im Wirtschaftsleben die zahllosen Blender, die eben durch das Ausblenden der Mehrdeutigkeit so überzeugend auftreten – und in der Realität wirkungslos bleiben. Mehr noch: IN den USA konnte Reinhard K. Sprenger intensiv erleben, wie die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten 30 Jahre lange Freundschaften, sogar Familien auseinanderbrechen ließ. Im besten Fall tabuisierte man das Thema. Besser wäre es gewesen, nachzufragen, auch in ruhiger Weise dagegenzuhalten.

Werte sind Antipoden

Leider ist das Idealbild vom meinungsfreudigen Macher omnipräsent. Und nicht nur in den USA hat Intoleranz neuerdings einen positiven Klang. Vor allem in dauerbeleidigten Milieus. Wie ohnehin der Wunsch nach Eindeutigkeit vergiftet ist. Reinhard K. Sprenger stellt fest: „Denn Ambiguität ist die Bedingung unserer Autonomie, die Voraussetzung unseres Wählenkönnens. Wäre es möglich, sie zu beseitigen, wir würden uns als Freiheitswesen aufkündigen.“

So wusste schon Friedrich Nietzsche: „Wer nur die eine Seite sieht, schielt.“ Das kann, das darf man sich nicht wünschen. Menschen mit Ambiguitätstoleranz sehen die Unentschlossenheit im Kern jedes Gedankens. Daraus resultiert die Fähigkeit, mit Widersprüchen souverän umzugehen. Die nicht zu tilgende Ambivalenz gilt auch für Werte. Werte sind Antipoden, die sich gut kennen. Was sie bedeuten und welche Seite vorzuziehen ist, ist abhängig vom Kontext. Sie sind also keineswegs so eindeutig, wie zumeist unterstellt wird. Quelle: „Magie des Konflikts“ von Reinhard K. Sprenger

Von Hans Klumbies

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