Die Symptome der Bitterkeit sind aggressiv
Reinhard Haller stellt fest: „Die Symptome der Verbitterung ähneln jenen der Depression, sind aber wesentlich aggressiver und selbstzerstörerischer.“ Während die Depression lähmt, regt die Verbitterung auf. „Die Depression ist ein starrer, dunkler Klumpen. Die Bitterkeit schwingt, sie bewegt sich wie ein zirkulierendes Gift und ist leicht abzurufen“, sagt der Berliner Psychiater Michael Linden. Im Vordergrund der Beschwerden stehen Missmut und Freudlosigkeit, Gefühle von Hilflosigkeit, Schuldvorwürfe gegen anderen und sich selbst. Weitere Symptome sind aggressive und suizidale Fantasien, innere Unruhe, Schlafstörungen, psychosomatische Beschwerden wie Magen- und Gallenleiden, Rückenschmerzen sowie Druck auf der Brust. Verbitterte meiden zunehmend den sozialen Kontakt, sie erleben die Umwelt als verständnislos und kaltherzig. In vielen Fällen entwickeln sie Neid und Wut auf die scheinbar sorglose, fröhlichen und sie alleinlassende Gesellschaft. Der Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller arbeitet vornehmlich als Therapeut, Sachverständiger und Vortragender.
Verbitterung belastet Psyche und Körper
Im Gegensatz zum depressiven Menschen sind die Affekte einer verbitterten Person nicht erstarrt. Reinhard Haller weiß: „Während bei der klassischen Depression die Antriebshemmung als Hauptsymptom zu sehen ist und der lähmende Aspekt der Störungen im Vordergrund steht, leidet der Verbitterte an einer agitierten Form der Depressivität.“ Verbitterung aber belastet nicht nur die Psyche, sondern auch den Körper. Wie bei jeder chronischen Stressreaktion sind durch chronische Verbitterung die somatischen Funktionen wie Herzschlag, Blutdruck, Stoffwechsel, Hormonhaushalt oder Muskelverspannung indirekt mitbetroffen.
Die anfänglich vorübergehenden vegetativen Begleitsymptome des Ärgers werden gleichsam organisch fixiert. „Kümmern Sie sich jetzt um Ihre Bitterkeit, sonst wird sie Sie in fünf Jahren in Form von chronischen Kopfschmerzen, Erschöpfung oder Rückenschmerzen heimsuchen“, meint der Psychosomatiker Frederic Luskin von der Stanford University. Ursachen und Auslöser einer schweren Verbitterungsstörung werden in der groben Verletzung von sogenannten „Grundannahmen“ wie psychologische Einstellungen, innere Haltungen und Wertorientierungen verortet.
Der Verlust zentraler Werte führen zu Verbitterung
Reinhard Haller erläutert: „Werden diese „basic beliefs“ durch den Verlust zentraler Werte einer Person verletzt, geht gleichsam der Boden unter den Füßen verloren. Die Betroffenen fühlen sich ungerecht behandelt und verraten – vom Schicksal und vom Leben, von der Gesellschaft und vom Staat, vom Dienstgeber und den Kollegen, vom Freund und Partner.“ Solche „basic beliefs“ sind beispielsweise: „Leistung lohnt sich, Liebe ist ewig und heilig. Es wird alles wieder gut.“
Der entlassene Angestellte glaubt fest an die Wertschätzung von Loyalität und Fleiß, die verlassene Ehefrau an Dankbarkeit und Treue. Reinhard Haller erklärt: „Man könnte auch sagen, dass Verbitterung besonders dann eintritt, wenn das jedem Menschen innewohnende Grundvertrauen enttäuscht worden ist. Es überrascht deshalb nicht, dass vor allem Menschen mit einem starren Korsett aus Werten von Verbitterungsstörungen betroffen sind.“ Quelle: „Die Macht der Kränkung“ von Reinhard Haller
Von Hans Klumbies