Die Gefolgschaft der Kränkung ist zahlreich
Die Gefolgschaft der Kränkung bildet eine Reihe von abwertenden, ausgrenzenden und entwürdigenden sozialen Interaktionen, denen alle Kränkungselemente eigen sind. Reinhard Haller nennt Beispiele: „Dazu gehören Diffamierung und Diskreditierung, Verleumdung und üble Nachrede, besonders aber die Diskriminierung.“ Letztere bedeutet soziale Benachteiligung aufgrund von Faktoren wie ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, Alter, Behinderung, religiöses Bekenntnis oder sexuelle Präferenz. Heute versucht man, diesen mit gesetzlichen Regelungen zur Gleichbehandlung, Gleichberechtigung und Gleichstellung entgegenzutreten. Aktuell erlebt man sie neben den scheinbar zeitlosen systematischen Diskriminierungen auf allen Ebenen des sozialen Bereichs in erster Linie im Umgang mit Kriegsflüchtlingen, Asylanten und Migranten. Andere Formen der Kränkung von großer individueller oder gesellschaftlicher Bedeutung sind Beleidigungen, Beschämung und im weiteren Sinn auch die Eifersucht. Der Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller arbeitet vornehmlich als Therapeut, Sachverständiger und Vortragender.
Bei Beleidigungen besteht ein gesellschaftlicher Konsens
Die Beleidigung ist die offene, fassbare, durch die Allgemeinheit anerkannten Form der Kränkung. Als unmittelbar Verwandte der krank machenden Kränkung bringt sie, wie ihr Name schon sagt, dem Menschen Leid. Was als Beleidigung zu verstehen ist, liegt nicht allein in der individuellen Empfindlichkeit, sondern in der Wertung durch die Gesellschaft. Während normale Kränkungen selektiv wahrgenommen und in erster Linie vom Adressaten als solche definiert werden, besteht bei dem, was als Beleidigung gilt, ein gewisser gesellschaftlicher Konsens.
Vereinfacht könnte man auch sagen: Die Beleidigung ist jene Form der Kränkung, die auch von der Allgemeinheit als solche empfunden wird. Reinhard Haller ergänzt: „Im Gegensatz zur Kränkung lässt sich die Beleidigung recht konkret beschreiben oder zumindest normieren und ist Tatbestand der meisten Strafgesetzbücher.“ Zu den Straftaten gegen die Ehre zählt neben der Verleumdung und der üblen Nachrede auch die Beleidigung. Während eine Kränkung bereits durch eine Geste, einen als abwertend empfundenen Blick, durch mangelnde Beachtung oder fehlende Zuwendung ausgelöst werden kann, kommt es bei der Beleidigung auf die böse Absicht an.
Gegen eine Beleidigung muss man sich wehren
Obwohl der Ehrbegriff heute nicht mehr viel gilt und die Gesetzgebung der westlichen Demokratien die Ehre immer weniger schützt, fühlen sich mehr Menschen denn je beleidigt, besonders im Internet. Da Beleidigungen gleichsam einen offiziellen Status haben, ist es viel leichter, sich zu ihnen zu bekennen. Beleidigung ruft beim Durchschnittsmenschen Empörung hervor, Kränkung eher Bedauern und Mitleid. Gegen Beleidigung, so der gesellschaftliche Konsens, soll und muss man sich wehren.
Reinhard Haller weiß: „Beleidigung hat viel mit Ehre und dem Ehrbegriff zu tun.“ Zwar ist der Ehrbegriff in Zeiten der Pluralisierung und des Wertewandels in der westlichen Welt in eine Krise geraten. In anderen Kulturen wird die Ehre in ihrer Wertigkeit höher angesiedelt als die Rechtsgüter Leib, Leben und Freiheit. Obwohl laut dem deutschen Rechtshistoriker Gerd Tellenbach bereits mehr als 60 Versuche unternommen worden sind, den Ehrbegriff zu definieren, gibt es keine einheitliche Beschreibung. Quelle: „Die Macht der Kränkung“ von Reinhard Haller
Von Hans Klumbies