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Ehrenmorde sind keine Seltenheit

Eine Beleidigung hat viel mit Ehre und dem Ehrbegriff zu tun. Zwar ist der Ehrbegriff in Zeiten der Pluralisierung und des Wertewandels in der westlichen Welt in eine Krise geraten. Reinhard Haller ergänzt: „In anderen Kulturen wird die Ehre in ihrer Wertigkeit höher angesiedelt als die Rechtsgüter Leib, Leben und Freiheit.“ In einer altmodischen Formulierung wird die Ehre als „Achtungswirklichkeit“ oder „verdienter Achtungsanspruch“ bezeichnet. Der britische Philosoph und Staatstheoretiker Thomas Hobbes (1588 – 1679) betrachtete Ehre als Anerkennung der Macht durch andere. Es bleibt umstritten, ob es sich bei der Ehre um einen inneren Wert, vergleichbar der Menschenwürde, oder um etwas, das von außen beschädigt werden kann, handelt. Der Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller arbeitet vornehmlich als Therapeut, Sachverständiger und Vortragender.

5.000 Frauen und Mädchen werden im Namen der Ehre getötet

In modernen neueren Definitionen wird zwischen dem eigenen Bezug zu Werten und Unwerten – dem Ehrgefühl – und den durch das eigene Handeln bewirkten Werten – dem Verantwortungsgefühl – unterschieden. In manchen Kulturen wird das Ansehen der Familie, der ethnischen Gruppe oder des religiösen Kollektivs über das individuelle und sogar das staatliche Wertesystem gestellt. Angriffe darauf können dramatische Kränkungsreaktionen bis hin zum sogenannten „Ehrenmord“ zur Folge haben.

Reinhard Haller erklärt: „Aus Tätersicht ist ein solches Schwerverbrechen zur Wiederherstellung der Ehre, insbesondere der Familie, gerechtfertigt. Das, was man wegen Fehlens eines befriedigenden Alternativausdrucks als Ehrenmord bezeichnet, ist aber ein soziales und kein religiöses Phänomen.“ Verlust der Ehre bedeutet für alle Gesichtsverlust. Ehrenmorde kommen vornehmlich, aber nicht ausschließlich in der islamischen Welt vor. Hierzulande fast nur bei Familien mit Migrationshintergrund. Laut einem UNO-Bericht werden jährlich mindestens 5.000 Frauen und Mädchen Opfer dieses schlimmsten Verbrechens, das im Namen der Ehre geschieht.

Ehrenmorde sind typische Straftaten einer „Väterherrschaft“

Da die Dunkelziffer sehr groß ist, sind die jährlichen Opferzahlen auf 10.000 bis 100.000 zu schätzen. Weltweit am meisten Fälle gibt es mit über 1.000 Opfern pro Jahr in Pakistan. In Deutschland sind laut Erkenntnissen des Bundeskriminalamts zwischen 1990 und 2005 insgesamt 55 Morde zur Wiederherstellung der Ehre begangen worden. Ehrenmorde werden vornehmlich in traditionell geprägten, patriarchalisch strukturierten Familien und Gesellschaften verübt.

Es sind also typische Straftaten einer „Väterherrschaft“ mit einem archaischen Verständnis der männlichen Ehre, schreibt der Kulturwissenschaftler Werner Schiffauer. Diese hat so hohen Wert, dass es nach Ansicht der Täter besser ist zu sterben, als ohne Ehre zu leben. Die Verletzung der Ehre kann durch Überschreiten der Grenze im innerfamiliären Bereich oder durch der Verhalten weiblicher Familienmitglieder erfolgen: durch voreheliche Beziehungen, durch Verlust der Jungfräulichkeit vor der Ehe, durch eheliche Untreue, aber auch durch Annehmen des westlichen Lebensstils. Quelle: „Die Macht der Kränkung“ von Reinhard Haller

Von Hans Klumbies

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