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Eros hatte sich dem Logos zu unterwerfen

Die Freuden des Nachmittags, so Theodor W. Adorno würden als Belohnungen oder Kompensation für die Arbeit des Vormittags angesehen. Allerdings seien die Freuden des Nachmittags nur zu rechtfertigen, wen sie letztlich dem „verborgenen Zweck von Erfolg und Selbstoptimierung“ dienten. Stuart Jeffries erklärt: „Infolgedessen werden Vergnügen, Genuss und Lust selbst zu einer Pflicht, einer Art von Arbeit. Was aussieht wie nachmittägliches Vergnügen nach einem Morgen der Arbeit, ist alles andere als das. Eros hatte sich dem Logos zu unterwerfen.“ Statt der Freisetzung des Lustprinzips hatte diese Teilung die Funktion, das Diktat des Realitätsprinzips über jeden einzelnen Aspekt des Lebens auszudehnen. Was in der Psychoanalyse als biphasisches Verhalten bezeichnet wird, sei ein Symptom von Zwangsneurose, so Theodor W. Adorno. Stuart Jeffries arbeitete zwanzig Jahre für den „Guardian“, die „Financial Times“ und „Psychologies“.

Herbert Marcuse hofft auf eine Befreiung des Lustprinzips

Die Autoren von Horoskopkolumnen schienen ihren Lesern Mittel an die Hand zu geben, mit den Widersprüchen des Alltags fertig zu werden. In Wahrheit machten sie sie zu Zwangsneurotikern, die diese Widersprüche internalisierten, statt ihnen die Stirn zu bieten. Theodor W. Adorno sah in dieser zwangsneurotischen Teilung in Vormittag und Nachmittag ein typisches Zeichen der amerikanischen Massenkultur. Statt dass sich die Bürger mit den Widersprüchlichkeiten der Gesellschaft auseinandersetzten, verinnerlichten sie sie auf neurotische Weise.

Indem sie die Tage in Arbeit und Vergnügen unterteilten, wurde ihr Leben nicht erfüllter, sondern entfremdet. Was Theodor W. Adorno an den amerikanischen Horoskopkolumnen diagnostizierte, verallgemeinerte Herbert Marcuse auf die amerikanische, ja auf jede fortgeschrittene Industriegesellschaft. Er formuliert in „Eros und Kultur“ seine Hoffnung auf eine radikale Veränderung dieser Gesellschaften, auf eine Befreiung des Lustprinzips aus der Diktatur des Leistungsprinzips, auf Menschen, die wieder erotisiert seien – die zur Ganzheit, Erfüllung und Freiheit finden würden.

Kulturen müssen Freiheit gegen Sicherheit eintauschen

Sigmund Freud hatte festgestellt, diese Art von Umgestaltung sei unmöglich: Kulturen müssen Freiheit gegen Sicherheit eintauschen. Stuart Jeffries stellt fest: „Die Vereinigten Staaten der 1950er Jahre waren offensichtlich eine Kultur, die sich in Richtung Sicherheit, weg von der Freiheit bewegte, während ihre Rhetorik das Gegenteil annehmen ließ.“ Die amerikanische Gesellschaft, ja in dieser Hinsicht jede andere zivilisierte Gesellschaft, die sich in den 1950er als frei und wohlhabend darstellte, steckte in der Zwangsjacke der Konformität.

Die entscheidende Aussage von Sigmund Freuds „Unbehagen in der Kultur“ lautet, dass der vordergründige Fortschritt der Kultur mit einer Unterdrückung einhergehe, vor der es kein Entkommen gebe. Herber Marcuse widersprach diesem Pessimismus. Er merkte an, in fortgeschrittenen Industriegesellschaften wie den Vereinigten Staaten spiele die Knappheit der Ressourcen, die Sigmund Freud als einen Grund dafür angeführt hatte, warum das Lustprinzip vom Realitätsprinzip eingeschränkt werden müsse, keine Rolle mehr. Quelle: „Grand Hotel Abgrund“ von Stuart Jeffries

Von Hans Klumbies

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