Nur zehn Prozent der Massenmörder sind psychisch gestört
Gar nicht so wenige Menschen fürchten sich vor dem eigenen Bösen. Sie fragen sich, ob jeder Mensch unter bestimmten Bedingungen zum Verbrecher werden kann und ob ganz normale Menschen zu bösen Taten fähig sind. Man hat auch darüber spekuliert, ob die Massenmörder der NS-Zeit, der Stalin-Diktatur oder des Pol-Pot-Regimes psychisch abnorm gewesen sind oder nicht. Reinhard Haller weiß: „Die erstaunliche Antwort ist, dass nach allen wissenschaftlichen Untersuchungen nur fünf bis zehn Prozent der Massenmörder psychisch gestört sind.“ Bei dieser kleinen Gruppe handelt es sich um sadistische, narzisstische oder emotional instabile Persönlichkeiten. Diese konnten unter dem Schutz einer Autorität oder dem Schirm eines Krieges die ganze Bösartigkeit ihres Charakters ausleben. Der Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller arbeitet vornehmlich als Therapeut, Sachverständiger und Vortragender.
Die NS-Täter waren keine schweren Psychopathen
Das Paradebeispiel für den erschreckend normalen, keineswegs perversen oder sadistischen Massenmörder ist Rudolf Eichmann. Er war mitverantwortlich für die Ermordung von sechs Millionen Menschen. Er war allerdings kein Psychopath und kein Monster. Das wirklich Beunruhigende an seinem Persönlichkeitsbefund war die Unauffälligkeit. Der Gutachter Adolf Eichmanns stellte fest, dass dieser normal sei: „Normaler jedenfalls als ich es bin, nachdem ich ihn untersucht habe.“
Hannah Arendt sieht in der Einzigartigkeit des Holocaust in der ausschließlich bürokratischen Natur des Vorgangs und im Fehlen jeglicher moralischer Dimensionen. Die erschütternde Maschinerie des Tötens wurde durch die Banalität des Bösen motiviert und aufrechterhalten. Aus dem Eichmann-Prozess hat Hannah Arendt die Erkenntnis gewonnen, dass die NS-Täter keine Unmenschen im Sinne von schweren Psychopathen und keine „Nichtpersonen“, also Wesen ohne menschliche Eigenschaften, waren. Sie kam zu dem Schluss: „Eichmann hat sich nie vorgestellt, was er eigentlich anstellt.“
Adolf Eichmanns Taten hatte keine dämonische Tiefe
Hannah Arendt fährt fort: „Seine Handlungen und Entscheidungen waren banal, gedankenlos, vordergründig und ohne teuflisch-dämonische Tiefe.“ Eine solche Ferne zur Realität und Unbetroffenheit, wie sie bei Adolf Eichmann zu sehen waren, können mehr Unheil anrichten, als alle die den Menschen vielleicht innewohnenden Triebe zusammen. Auch der Chef der Geheimpolizei der Roten Khmer, Kang Keng Iev, genannt Duch, wird als „das genaue Abbild der Banalität und Unschuld des Bösen“ beschrieben.
In einem Interview sagte Duch über das von ihm eingerichtete Gefängnis S-21: „Ich und alle anderen, die an diesem Ort arbeiteten, wussten, dass jeder, der dorthin kam, psychologisch zerstört und durch ständige Arbeit eliminiert werden musste und keinen Ausweg bekommen durfte. Keine Antwort konnte den Tod verhindern. Niemand, der zu uns kam, hatte eine Chance, sich zu retten.“ Duch schilderte sein Arbeit als bürokratisch: „Jeden Tag musste ich die Geständnisse lesen und überprüfen. Ich las von sieben Uhr morgens bis Mitternacht. Ich hatte keine Alternative.“ Quelle: „Das Böse“ von Reinhard Haller
Von Hans Klumbies