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Eros und Thanatos sind ewige Gegenspieler

Sigmund Freud registriert die Eskalation von Feindseligkeit und Nationalismus ebenso wie das Erstarken des Antisemitismus in Europa. Diese Aggressionsformen sind nicht mit Lust oder der zugehörigen Befriedigung verbunden. Sigmund Freud schreibt: „Dieser Aggressionstrieb ist der Abkömmling und Hauptvertreter des Todestriebes, den wir neben dem Eros gefunden haben, der sich mit ihm in die Weltherrschaft teilt.“ Judith Butler ergänzt: „Was Freud nun „Eros“ und „Thanatos“ nennt, erscheint zwar in der Regel nicht voneinander getrennt, aber beide verfolgen gegensätzliche Ziele.“ Eros strebt die Zusammenführung getrennter Einheiten in der Gesellschaft an. Er führt Individuen zu Gruppen und Gruppen untereinander im Dienst umfassenderer gesellschaftlicher und politischer Formationen zusammen. Thanatos spaltet diese Einheiten und jede Einheit in sich. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

Die Liebe selbst ist ambivalent

So existiert in jedem Aufbau einer sozialen Bindung zugleich eine Gegentendenz, die diese Bindung aufzulösen sucht. Judith Butler nennt ein Beispiel: „Ich liebe dich, ich hasse dich; ich kann ohne dich nicht leben, ich sterbe, wenn ich weiter mit dir lebe.“ Sigmund Freud geht dieses Problem in Bezug auf die Liebe auf zweierlei Weise an. Einerseits betont er in seinem ganzen Werk die konstitutive Ambivalenz aller Liebesbeziehungen. Das wird im Kapitel „Das Tabu und die Ambivalenz der Gefühlsregungen“ in „Totem und Tabu“ (1913) deutlich.

Aber auch in „Trauer und Melancholie“ (1917), wo der Verlust des geliebten Menschen mit Aggressionen verbunden ist, ist dies unverkennbar. Nach diesem Modell ist die Liebe selbst ambivalent. Judith Butler fügt hinzu: „Andererseits bezeichnet „Liebe“ – ein anderer Begriff für „Eros“ – nur den einen Pol dieser emotionalen Ambivalenz. Es gibt die Liebe und es gibt den Hass. Liebe meint also entweder die ambivalente Konstellation von Liebe und Hass oder sie bezeichnet nur einen Pol einer bipolaren Struktur.

Destruktivität geht mit einer Schwächung der Kritikfähigkeit einher

Sigmund Freuds Position selbst scheint ambivalent, was vielleicht auf rhetorischer Ebene seine Behauptung untermauern soll. Tatsächlich löst er diese Paradoxie in seinem Werk nie ganz auf. Symptomatisch tritt sie in seinem Spätwerk zutage. Liebe bindet eine Person an eine andere, aber kraft ihrer inneren Ambivalenz birgt sie auch das Potenzial zur Zerstörung sozialer Bindungen. Und wenn es nicht die Liebe ist, die diese Bindungen zerstört, gibt es zumindest eine destruktive Kraft in ihr.

Diese bewegt die Menschen zu Zerstörung und Selbstzerstörung, einschließlich der Zerstörung dessen, was sie am meisten lieben. Was in der Psyche wendet sich gegen diese Auflösung sozialer Bindungen? Judith Butler erläutert: „In Freuds Sicht können Gruppen entweder ihre inneren Bindungen zerstören oder ihre Destruktivität gegen andere Gruppen richten. Beide Formen der Destruktivität, befürchtet er, gehen mit einer Schwächung der Kritikfähigkeit einher.“ Quelle: „Die Macht der Gewaltlosigkeit“ von Judith Butler

Von Hans Klumbies

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