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Gerechtigkeit zählt zu den wichtigsten Werten

Die wahrscheinlich wichtigste Wurzel von Rachegefühlen und -gedanken liegt in der Verletzung des Gerechtigkeitsgefühls. Dieses ist tief in der menschlichen Psyche verankert und eine wesentliche Voraussetzung für ein positives Selbstbild. Reinhard Haller erklärt: „So gehört Gerechtigkeitsempfinden zu den heikelsten psychischen Funktionen, und Gerechtigkeit gehört zu den wichtigsten menschlichen Werten.“ Sie gilt in den meisten Religionen als göttliche Eigenschaft und wird als Grundlage jedes funktionierenden Staatensystems gesehen. Platon bezeichnete sich als wichtigste aller Tugenden, da sie die drei übrigen Kardinaltugenden – Tapferkeit, Besonnenheit, Weisheit – in sich vereine und sogar Voraussetzung für ein glückliches Leben jedes Einzelnen und aller Gemeinschaften sei. Prof. Dr. med. Reinhard Haller war als Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe über viele Jahre Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Heute führt er eine fachärztliche Praxis in Feldkirch (Österreich).

Größtmögliche Gerechtigkeit ist nur in der Demokratie erreichbar

Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) bezeichnete Gerechtigkeit als „Tugend in vollkommener Ausprägung“ und „oberster unter den Vorzügen des Charakters“. Reinhard Haller ergänzt: „In der als Leitfaden für ein gutes Leben konzipierten Nikomachischen Ethik beschreibt er Gerechtigkeit als etwas Menschliches, welches sich auf das individuelle und gemeinschaftliche Leben beziehe. Er unterscheidet zwischen Verteilungsgerechtigkeit und jener der Wiedergutmachung und Kompensation dienenden Tauschgerechtigkeit beziehungsweise ausgleichender Gerechtigkeit.“

Größtmögliche Gerechtigkeit sei aber nur in der besten Staatsform erreichbar, in der gleiche und freie Bürger sich abwechselnd regieren lassen und regieren, also in der Demokratie. Reinhard Haller stellt fest: „Gerechtigkeit kommt im aristotelischen Verständnis somit der Weisheit sehr nahe.“ Nach dem römischen Kaiser Justinian (482 – 565 n. Chr.) basiert gerechtes Handeln auf drei Säulen: Ehrenhaft leben, niemandem unrecht tun und jedem das Seine gewähren. Werden diese Prinzipien eingehalten, könnte die gesamte Menschheit zu einer „Gerechtigkeitsgemeinschaft“ werden, wie dies der deutsche Philosoph Otfried Höffe ausdrückt.

Gerechtigkeit kann nicht mit dem Recht gleichgesetzt werden

Wissenschaftlich wird Gerechtigkeit definiert als „Prinzip eines staatlichen oder gesellschaftlichen Verhaltens, das jedem gleichermaßen sein Recht gewährt“. Reinhard Haller erläutert: „Gerechtigkeit, die nicht mit Recht gleichgesetzt werden kann, ist in vielen Grundgesetzen verankert und dient als übergeordnetes Leitprinzip staatlichen Handelns.“ Meist werden die Begriffe „Gerechtigkeit“ und „Fairness“ gleichsinnig verwendet, wobei Gerechtigkeit eher an die Obrigkeit gebunden ist, während der Fairness-Begriff mehr den alltäglichen Umgang meint, sei es im Handel, bei Diskussionen oder im Sport.

In der griechischen Mythologie, der Fundgrube für tiefenpsychologisches Gedankengut schlechthin, gibt es eine eigene Rachegottheit, die bezeichnenderweise als Göttin des gerechten Zorns und der ausgleichenden Gerechtigkeit verehrt wird. Reinhard Haller fügt hinzu: „Nemesis ist die Tochter der Nyx, der personifizierten Nacht, vor der sich selbst der Gottvater Zeus fürchtete, und des in der Unterwelt angesiedelten Erebos, des Gottes der Finsternis.“ Quelle: „Rache“ von Reinhard Haller

Von Hans Klumbies

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