Enttäuschungen zerstören Hoffnungen
Enttäuschung ist unweigerlich mit Täuschung verbunden. Wer ent-täuscht wird oder ist, hat sich vorher in etwas oder jemanden getäuscht, oder wurde getäuscht. Reinhard Haller weiß: „Ursprünglich war der Begriff durchaus positiv besetzt. Denn er bedeutete, dass jemand aus einer Täuschung herausgerissen und eines Besseren belehrt worden ist.“ Später wurde das Wort Enttäuschung eher im Sinne von Desillusionierung eingesetzt, womit eine zur Ernüchterung führende, als negativ empfundene Erfahrung oder Erkenntnis gemeint ist. Heute bezeichnet die Enttäuschung ein Gefühl der zerstörten Hoffnung oder des nicht erwarteten Kummers. Enttäuschungen können das bisherige Menschen- und Welt- und Selbstbild infrage stellen. Prof. Dr. med. Reinhard Haller war als Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe über viele Jahre Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Heute führt er eine fachärztliche Praxis in Feldkirch (Österreich).
Enttäuschungen können sogar zum Selbsthass führen
Enttäuschungen führen zum Zusammenbruch von Idealen und Weltanschauungen und lassen Zweifel an der eigenen Person hochkommen. Reinhard Haller erklärt: „Die Entdeckung des Selbstbetrugs löst Schuld- und Versagensgefühle aus, welche dann wiederum den Hass anstacheln.“ Enttäuschung bedeutet jedoch nicht nur das Erkennen einer falschen Erwartungshaltung, sondern auch den Verlust der Kontrolle. Sie ist deshalb regelhaft mit starken negativen Gefühlen wie Ärger, Frustration, Wut und Hass verbunden.
Reinhard Haller erläutert: „Da Enttäuschungen gleichsam hausgemacht sind, das Individuum selbst für seine Hoffnungen und Erwartungen verantwortlich ist, auch dann, wenn sich diese als falsch erwiesen haben und die Wüsche frustriert wurden, gerät die von sich selbst enttäuschte eigene Person unter Druck.“ Die große Gefahr der Enttäuschung liegt in der Schuldverschiebung auf das Ich, im Selbsthass. Das heißt, der Hass richtet sich dann nicht auf ein Gegenüber, das in die Enttäuschung involviert ist, sondern gegen sich selbst.
Kränkungen können eine gewaltige Dynamik entfalten
„Enttäuschungen sind aber im Leben unvermeidbar, da Einstellungen, Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche unser menschliches Dasein bestimmen. Nur wer keine Hoffnungen hätte, könnte auch nicht enttäuscht werden“, betont Reinhard Haller. Etwas zynisch hat dies der englische Dichter Alexander Pope (1688 – 1744) zum Ausdruck gebracht: „Gesegnet ist der, der nichts erwartet, denn er wird nie enttäuscht.“ Der Gefahr des aus Enttäuschungen resultierenden Hasses, besonders des Selbsthasses kann man entgegenwirken.
Nämlich indem man Enttäuschungen als unvermeidbaren Bestandteil des Lebens, als Herausforderung und Prüfung betrachtet. Reinhard Haller fügt hinzu: „Indem man darüber spricht und versucht herauszufinden, welche Bedeutungen Enttäuschungen haben, was wir aus ihnen lernen und wie wir sie loslassen und überwinden können.“ Unter den Hassauslösern wird kein anderer so häufig genannt wie die Kränkung. Kränkungen sind jedem bestens bekannt, denn sie spielen sich im Alltag millionenfach ab und können nahezu unbemerkt eine gewaltige Dynamik entfalten. Quelle: „Die dunkle Leidenschaft“ von Reinhard Haller
Von Hans Klumbies