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Die Psyche gewöhnt sich irgendwann an alles

Leute mit Höhenangst gehen eben nicht auf Fernsehtürme, Leute mit Aufzugsangst fahren nicht mit dem Lift, Leute mit Platzangst gehen nicht über große Plätze. Die Angst im Kopf hat bei vielen Menschen mit den Jahren weiter zugenommen und sich oft auch auf andere Lebensbereiche übertragen. Manfred Lütz erklärt: „Die Methode, sich der Angst auslösenden Situation in sicherer Begleitung auszusetzen, rechnet mit der Eigenschaft der Psyche, sich irgendwann an alles zu gewöhnen.“ So nimmt der anfänglich angestiegene Angstpegel nach einigen Minuten ab und der Patient erlebt zum ersten Mal seit Langem diese völlig unvorstellbare Situation mehr oder weniger angstfrei. Auf solche Weise kann zum Beispiel die Höhenangst verschwinden – und so geht man auch viele andere Ängste an. Dr. med. Dipl. theol. Manfred Lütz ist Psychiater, Psychotherapeut, Kabarettist und Theologe.

Die Verhaltenstherapie wirkt durchaus nachhaltig

Die klassische Verhaltenstherapie interessiert sich nicht für die Dynamik, die hinter einer Symptomatik liegen mag. Manfred Lütz weiß: „Sie interessiert sich schlicht für die Symptome selbst, das äußerlich beschreibbare Verhalten, und vor allem dafür, wie man die Symptome wegbekommt.“ Die Verhaltenstherapie hält solch krankhaftes Verhalten für lebensgeschichtlich erlernt, mit der Folge, dass man es auch wieder verlernen kann. Dafür hat sie wissenschaftlich genau evaluierte Methoden entwickelt, um eine möglichst schnelle und nachhaltige Beseitigung der Symptome zu erreichen.

Keine Frage: Genau das will auch der Patient. Die übliche Kritik der Psychoanalyse an derartigen Methoden war, dass sie nur an der Oberfläche bleiben und daher nicht „tief“ genug gehen. Manfred Lütz stellt fest: „Doch Untersuchungen haben ergeben, dass verhaltenstherapeutische Methoden durchaus nachhaltig wirken.“ Die Verhaltenstherapie hat im Laufe der Zeit ihre Behandlung ergänzt um kognitive, also Einsicht fördernde Aspekte, wie sie auch bei psychoanalytischen Methoden vorkommen.

Die systemische Therapie begreift den Menschen als soziales Wesen

Die „kognitive Wende“ der Verhaltenstherapie, dann aber auch ihre Weiterentwicklung in vielfältige Methoden, die stärker die Beziehung des Patienten zu sich selbst und anderen in den Blick nehmen, hat diese Therapieform zu der wohl weltweit wissenschaftlich am besten belegten Psychotherapiemethode gemacht. Manfred Lütz ergänzt: „Inzwischen gibt es ausgetüftelte Handbücher, nach denen Therapeuten einigermaßen standardisiert bestimmte Störungen verhaltenstherapeutisch behandeln können.“ Doch es gibt Patienten, bei denen man mit dieser Methode einfach nicht weiterkommt.

Die Psychoanalyse versucht, einzelne Menschen zu behandeln, die Verhaltenstherapie behandelt vor allem einzelne Symptome. Doch der Mensch ist immer auch ein soziales Wesen. Und so hat die systemische Therapie, die sich in Amerika und parallel in Italien entwickelte, den Menschen mit seinen sozialen Bezügen in den Mittelpunkt gestellt. Auch andere Therapieschulen haben inzwischen gelernt, das soziale Umfeld stärker einzubeziehen. Das neue systemische Denken hatte aber noch ganz andere revolutionäre Auswirkungen auf die Psychotherapie. Quelle: „Neue Irre!“ von Manfred Lütz

Von Hans Klumbies

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