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Den Wagemutigen lächelt das Glück

In einer kontingenten Welt hat die Einsamkeit, die Unfähigkeit den anderen zu begegnen, nichts mit Schicksal zu tun: Ihr Sein hat keinen Daseinsgrund. Charles Pépin erläutert: „Wir brauchen nur die eigenen vier Wände zu verlassen, um den Zufall herauszufordern und vielleicht alles zu ändern, ähnlich einem Wurf im Würfelspiel unserer Beziehungen zu den anderen, unserer Liebes- und Freundschaftsgeschichten, unserer Arbeitsbeziehungen.“ Der Aberglaube verleitet viele Menschen zu der Vorstellung von Glück als einer objektiven, vom Willen oder Handeln unabhängigen Gegebenheit. Dabei gerät in Vergessenheit, dass das Glück herausgefordert wird. Jemanden zu begegnen, bedeutet aus sich herauszugehen – sich von der eigenen Position als selbstzentriertes Subjekt loszureißen, um sich für die Perspektive des anderen zu öffnen. Charles Pépin ist Schriftsteller und unterrichtet Philosophie. Seine Bücher wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

Das Glück schlägt nicht zufällig zu

Um aus sich herausgehen zu können, muss man allerdings erst einmal seine vier Wände verlassen und hinausgehen. Im Unterschied zum Glück, das einem Menschen lächelt, gibt es für die wiederholte Chance keine statistische Erklärung. Daher muss man den Grund für seinem Verhalten suchen, darin, wie man mit den anderen und der Welt interagiert. Charles Pépin ergänzt: „Sie wird durch eine Haltung der Verbindlichkeit und Empfänglichkeit herbeigeführt, durch eine bestimmte Art, durchs Leben zu gehen, mit weit geöffneten Augen, die empfänglich sind für alle Signale, die uns die Welt sendet.“

„Den Wagemutigen lächelt das Glück“, behauptete einst Vergil. Dieses Glück schlägt nicht zufällig zu, verteilt seine Gunst nicht willkürlich. Charles Pépin stellt fest: „Es erkennt seine Kinder, all diejenigen, die sich leidenschaftlich einlassen, die sich bemühen, neue Wege in der Wirklichkeit zu eröffnen, und sich nicht damit zufriedengeben, auf den Spuren derer zu wandeln, die vor ihnen da waren.“ Um das Glück herauszufordern, muss ein Mensch zuerst mit den Gewohnheiten brechen, die ihn einschläfern.

Die Routine sperrt den Menschen ein

Wer Tag für Tag die immer gleichen Gänge immer zur selben Zeit macht, ohne für sich selbst und die Welt anwesend zu sein, den versetzt das nicht in denselben Zustand der Bereitschaft wie ein neuer Ausflug, der den Geist anregt und das Herz höher schlagen lässt. Charles Pépin fügt hinzu: „Um das Glück herauszufordern, reicht manchmal schon ein kleiner Seitenschritt, eine winzige Abweichung vom Gewohnten.“ Die Interessengebiete eines Menschen machen ihn offen für andere, während die Routine ihn einsperrt.

Handelt ein Mensch reflexartig, wie auf Autopilot, besteht die Gefahr, dass er die Frau oder den Mann, der vor ihm auftaucht, nicht einmal bemerkt. Dadurch wird der Raum, den man für eine potenzielle Begegnung bereithält, sehr eng. Charles Pépin erklärt: „Andererseits sollten wir unsere Unternehmungen auch nicht auf das alleinige Ziel einer Begegnung ausrichten.“ Als Kinder des westlichen Voluntarismus, die in der Ideologie des „Wer will, der kann“ geschult wurden, laufen Menschen Gefahr, viele Gelegenheiten zu verpassen, besonders dann, wenn sie nicht beabsichtigt sind und sich umso spontaner darbieten. Quelle: „Kleine Philosophie der Begegnung“ von Charles Pépin

Von Hans Klumbies

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