Viele Menschen unterschätzen die wahren Werte des Lebens
Sigmund Freud schreibt zu Beginn seiner Abhandlung über das Unbehagen in der Kultur: „Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Menschen mit falschen Maßstäben messen und Macht, Erfolg und Reichtum für sich anstreben und bei anderen bewundern. Die wahren Werte des Lebens aber würden sie unterschätzen.“ Diese wahren Werte waren für Plato das Schöne und das Gute. Rotraud A. Perner erklärt: „Was man darunter versteht, beruht letztlich auf subjektiven Lustempfindungen und allenfalls gesellschaftlicher Vereinbarung einer Mehrheit Gleichgesinnter. Dieses Lustempfinden ist erlernt wie jedes Wahrnehmen und Reagieren und meist durch Manipulation von Bezugspersonen oder Einwirkung von audiovisuellen Medien geprägt.“ Rotraud A. Perner ist Juristin, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin und absolvierte postgraduale Studien in Soziologie und evangelischer Theologie.
Leitbilder bieten einem Menschen Sicherheit und Halt
Gerald Hüther, Professor für Neurobiologie an der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen, erläutert: „Aufgrund seiner individuell und im Zusammenhang mit anderen Menschen gemachten und im Hirn im Form bestimmter Nervenzell-Verschaltungen gelangt jeder einzelne Mensch im Lauf seines Leben zu bestimmten Annahmen und entwickelt bestimmte Vorstellungen über die Welt, über die Art seiner Beziehungen zur äußeren Welt und seine Möglichkeiten zur Mitgestaltung dieser Welt.“ Diese Vorstellungen werden als innere Orientierungen, als Konzept der Selbstwirksamkeit und eigene Leitbilder im Hirn verankert.
Sie bieten einem Menschen Sicherheit und Halt, bestimmen seine Entscheidungen, lenken seine Aufmerksamkeit in eine bestimmte Richtung und sind daher ganz entscheidend dafür, wie und wofür der Mensch sein Gehirn benutzt und deshalb auch strukturiert. Gerald Hüther fügt hinzu: „Die konkrete Form dieser inneren Bilder und Orientierungen, die ein Mensch im Lauf seines Lebens für seine weitere Lebensgestaltung herausbildet, hängt in hohem Maß von den jeweils vorgefundenen und als besonders erfolgreich bewerteten Vorbildern ab, die er als Heranwachsender innerhalb seines Kulturkreises und der dort herrschenden sozialen Beziehungen vorfindet.“
Elterlicher Zorn wird als Sorge um das Kind umgedeutet
Diese Vorbilder entstammen überwiegend den Medien und erweisen sich voll von Bestrebungen nach Dominanz, Gelüsten nach Unterwerfung, Strafwut und sadistischer Lust an Demütigungen. Rotraud A. Perner ergänzt: „Da Gewalt, sofern sie nicht sichtbare Verletzungen hervorgerufen hat, nicht nur in der Alltagskommunikation, sondern auch von Polizei und Gericht verharmlost, abgestritten und überhaupt der Wahrnehmung entzogen wird, sind viele Menschen unfähig, ihre vielen Gestalten zu erkennen und zu benennen.“
Es wurden dann keine Neuronen der Wahrnehmung ausgebildet und es fehlen auch adäquate Bezeichnungen. Stattdessen werden die Wirkungen auf das leibseelische und geistige Erleben und Verarbeiten mittels Pseudonamensgebungen einer Bewertung zugeführt, die die Hörenden mundtot machen sollen. Rotraud A. Perner nennt ein Beispiel: „So wird etwa elterlicher Zorn zur Sorge um das Kind umgedeutet und als dessen Schuld gerechtfertigt. Unabhängig von der Züchtigung einer selbsteingeschränkten Geisteshaltung voll permanenter Schuldgefühle werden aber auch die organischen Gehirnstrukturen negativ beeinflusst.“
Von Hans Klumbies