Viele Kinder werden immer verhaltensauffälliger
Die Psychotherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger sieht überall Symptome der Überindividualisierung in der Gesellschaft. Andreas Salcher erklärt: „Das heißt, es wird nur die Verantwortlichkeit für das eigene Leben gespürt.“ Martina Leibovici-Mühlberger meint, die individuelle Lebensplanung der Eltern hat Toppriorität bekommen. Verbindliche Erziehungsnormen gibt es dagegen nicht mehr. Vor allem Lehrer der Volks- und Mittelschulen klagen, dass sich die Anzahl der verhaltensauffälligen Kinder in den letzten Jahren dramatisch erhöht hat. Und die Eltern wollen ihnen auch dann noch die Verantwortung dafür zuschieben. Diese Probleme lasten wie Mühlsteine auf den Schultern der Direktoren und Lehrer. Zudem erschweren sie den Unterricht und kosten Unmengen von Energie. Natürlich sind diese Probleme nicht neu. Nur wurden sie früher durch ein autoritäres Schulsystem unterdrückt. Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Bestseller-Autor und kritischer Vordenker in Bildungsthemen.
Kindererziehung ist eine sehr fordernde Aufgabe
Heute hat man scheinbar den Untertanenstaat überwunden und lebt in einer freien Gesellschaft mit mehr Bürger- und Kinderrechten. Dieser neu gewonnene Freiraum lässt die lange verdrängten Wertekonflikte nun an die Oberfläche kommen. Und der Ort, wo sie für alle sichtbar sind, ist die Schule. Diese Konflikte verschärfen sich durch den hohen Anteil ausländischer Kinder aus sehr traditionellen Kulturen zusätzlich. Nachdem viele Migranten dem Islam angehören, kommt es immer stärker zum Aufeinanderprallen religiöser Grundüberzeugungen.
Es kann durchaus sein, dass die große Mehrheit der Eltern einer Klasse ihre Erziehungsaufgaben gut erfüllt. Dennoch ist heute die Wahrscheinlichkeit, dass die Klassenatmosphäre durch ein oder mehrere auffällige Kinder völlig zerstört ist, größer als noch vor zwanzig Jahren. Andreas Salcher weiß: „Kindererziehung ist eine sehr fordernde Aufgabe, und das erste Kind stellt daher für die Eltern immer eine völlig neuer Herausforderung dar.“
Ein Elternführerschein könnte eine Lösung sein
Manche Eltern können jedoch nicht auf eigene positive Erfahrungen zurückgreifen. Denn schon ihre Eltern haben sich nicht ausrechende um sie gekümmert. So fehlt ihnen auch die notwendige Erfahrung, ihre Kinder entsprechend zu erziehen. Solche Eltern fühlen sich dann überfordert und antworten den Vorwürfen der Lehrer über ihre Kinder in den Sprechtagen: „Ich weiß selber nicht, was ich machen soll. Auf mich hören sie auch nicht. Was soll ich tun!“ Andere Eltern sind wiederum nach wie vor gegenüber der Schule in einer falsch verstandenen Autoritätsgläubigkeit verhaftet.
Diese spiegelt sich oft in folgendem Satz wider: „Das müsst ihr schon selber wissen, wie ihr mit diesen Problemen meines Kindes zurechtkommt, dafür sein ihr ja da.“ Solche Eltern resignieren bei der Aufgabe, ihre Kinder in schweren Phasen zu unterstützen. Es macht laut Andreas Salcher wenig Sinn, jenen Eltern, die mit ihrer Aufgabe überfordert sind, die Schuld zuzuschieben. Den Kindern hilft das gar nicht. Der Staat könnte durchaus versuchen, Eltern mit dem von Experten vorgeschlagenen Elternführerschein zu bewegen, ihre Erziehungsaufgaben besser wahrzunehmen. Quelle: „Der talentierte Schüler und seine ewigen Feinde“ von Andreas Salcher
Von Hans Klumbies